PETER UNFRIED über CHARTS
: Wo der Mainstream in die Mitte mündet

Die Charts heute mit Schröder, Finke und der Erkenntnis: Das Ende des Kapitalismus kommt ja tatsächlich – was tun?

Der Unterschied zwischen dem Exspitzenpolitiker Al Gore und dem Exspitzenpolitiker Gerhard Schröder besteht darin, dass Gore ein inhaltliches politisches Ziel hatte, das er heute stärker verfolgt denn je: Er kämpft gegen das Aussitzen des Klimawandelproblems, denn das ist der zumindest partielle Weltuntergang. Gore reist um die Welt, um für den Planeten zu kämpfen. Was immer man von dem Ergebnis seiner Arbeit als Vizepräsident halten mag: Das ist ein Engagement, wie man es sich von einem gut vernetzten Expolitiker nicht besser wünschen kann.

Was Schröder betrifft, so stellt sich für ihn die Frage, welchen politischen Inhalt er heute noch engagiert verfolgen könnte?

Eben. Wie das doppelte Lottchen zur Verbreitung seiner Memoiren konsequenterweise Spiegel/Bild ist, so ist seine Hauptbeschäftigung jenseits von internationalem Wirtschafts- und Putinlobbyismus konsequenterweise retrospektiv. Es ist der Versuch, sein historisches Verdienst zu verklären. Also, dass er aus opportunistischen Gründen (d. i. die SPD als Juniorpartner in eine neue Koalition zu führen, um selbst einen guten Abgang zu haben) die Kanzlerschaft und damit den Wählerauftrag weggeschmissen hat und nebenbei noch den treuen Koalitionspartner Grüne kalt abgehängt. Speziell die Begründung („Ich wollte eine Abstimmung über diese Politik – und so neues Vertrauen aufbauen“) zeigt, dass er auch weiter einem schlechten Spaß nicht abgeneigt ist.

Dass der Fußball und die Fußball-Bundesliga heute auch für politische Menschen als eine zumindest teilweise wunderbare Sache gefühlt und rezipiert werden kann, ist nicht nur der Entpolitisierung der Politisierten und der Zeit geschuldet, die seit 1945 und 1968 vergangen ist. Sondern auch Volker Finke.

Das darf man doch in diesen Tagen mal wieder sagen, da hier und dort und besonders auch in Freiburg gemurrt wird über den Fußballtrainer des SC Freiburg. Zur Klärung der aktuellen Lage müsste man weiter ausholen, aber grundsätzlich dies: Ob er das will oder nicht, Finke hat die Linken Anfang, Mitte der 90er mit dem Profifußball versöhnt. Er hat außerdem eine Branchenverkrustung aufgebrochen, aus der vieles folgte und die mit der Personalie Löw/Bundestrainer noch längst nicht zu Ende sein kann. Finke kam wie jeder Erneuerer vom Rand, er ging Richtung Mainstream, aber er ist bis heute nicht Mainstream geworden. Undenkbar, dass er in einer Fernsehsendung einem Johannes B. Kerner assistieren könnte.

Damit will ich noch nichts gegen Jürgen Klopp sagen, der eine Generation nach Finke kam und dementsprechend postideologisch geprägt ist. Sondern: Ein Teil der Leistung Finkes ist der Weg, den er Richtung Mitte gemacht hat. Und der andere Teil ist, dass er ihn nicht zu Ende gegangen ist. Sicher könnte Volker Finke längst in Princeton oder Kingston lehren. Manche mögen bedauern, dass er es nicht tut. Man kann es auch anerkennen.

Übrigens wird heute in Großbritannien mit dem sogenannten Stern-Bericht bestätigt, was der Popmusiker Peter Licht in diesem Sommer bereits verkündet hat, auch auf der taz-CD Inter Deutschland: das Ende des Kapitalismus. Grund ist der Klimawandel. Ein Problem sei speziell der Anstieg des Meeresspiegels und die daraus resultierenden hunderte von Millionen an Klimaflüchtlingen. „Wenn wir nicht aktiv werden“, sagt Blairs Chefwissenschaftler David King, „erwartet uns ein Geschäftsrückgang wie seit der Großen Depression und den Weltkriegen nicht mehr.“ Wenn wir CO2 reduzieren, retten wir also nicht bloß die Menschen oder die Welt. Sondern die Weltökonomie! Das sollte uns Beine machen. Es heißt auch: Das Gegenteil von dem ist wahr, was Bush immer gesagt hat. Okay, das ist jetzt keine wirkliche Überraschung.

Die Charts im November:

Musik: „It’s not enough“ – The Who. „Industrial Disease“ – Dire Straits, „Samba Pa Ti“ – Santana

Literatur: „Das Wetter vor 15 Jahren“ – Wolf Haas.Fernsehen: „Dancing on Ice“, RTL

Metropolen: Tübingen

Fragen zu The Who? kolumne@taz.de Morgen: Adrienne Woltersdorf OVERSEAS