Polens Premierminister gibt sich die Ehre

Heute wird Jarosław Kaczyński zum Antrittsbesuch in Berlin erwartet. Das könnte eine Chance sein, das Klima zwischen den Staaten zu verbessern. Anders als Polens Politiker haben die normalen Bürger mit dem westlichen Nachbarn kaum Probleme

AUS WARSCHAU PAUL FLÜCKIGER

„Die Deutschen? Die sympathischen sind sympathisch, und schlechte Leute gibt es überall“, sagt die junge Mutter und stapft davon. „Wir haben viel gelitten, aber das ist ja so lange her“, meint eine ältere Frau. So recht will sich an diesem regnerischen Sonntagmorgen im Warschauer Stadtteil Praga niemand zur neuen polnisch-deutschen Eiszeit äußern. Man sollte diese Frage besser den Politikern stellen, lautet der Tenor.

Bereits 107 Tage regiert der polnische Ministerpräsident Jarosław Kaczyński. Heute wird er zu einem Antrittsbesuch in Berlin erwartet. Seit die nationalkonservative Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) der Zwillingsbrüder Kaczyński (Bruder Lech ist Präsident) vor einem Jahr die Macht übernommen hat, hat das Interesse der Politiker an Kontakten mit Deutschland massiv abgenommen.

Umso mehr wurde dafür im Parlament, auf Regierungssitzungen und in den polnischen Medien über Deutschland berichtet und gezetert. Die PiS setzt seit ihrem Regierungsantritt auf knallharte Interessenpolitik. Streitpunkte gibt es genügend. Die wichtigsten sind die deutsch-russische Erdgaspipeline und das „Zentrum gegen Vertreibung“. Mit dem Kasperlespiel um ein deutsches Ausflugsschiff Mitte Oktober hat das bisweilen antideutsch auftretende Politmagazins Wprost noch einen Grenzdisput ausgemacht. Deutschland, so Wprost, wolle mit seinen Provokationen an der Odermündung eine Neuverhandlung des deutsch-polnischen Grenzvertrags erzwingen.

Diese Version wurde bisher nicht einmal in dem von der Rechten beherrschten Parlament ernsthaft diskutiert. Die deutschen Vorschläge zu den beiden anderen Streitpunkten lehnte Außenministerin Anna Fotyga am Freitag ab. Berlin hatte Warschau angeboten, sich für einen polnischen Anschluss an die Ostseepipeline stark zu machen. Statt des geplanten „Zentrums gegen Vertreibung“ in Berlin soll das 2003 beschlossene „Netzwerk für Gedächtnis und Solidarität“, bei dem auch Ungarn und die Slowakei mitmachen würden, reaktiviert werden.

Die Pipeline widerspreche dem europäischen Solidaritätsprinzip, sagte Fotyga am Freitag und strich heraus, dass für Polen Europa nicht an der heutigen EU-Außengrenze aufhört, sondern Polen sich weiter für die Ukraine einsetzen wolle. Bisher wird das russische Erdgas via Ukraine, Weißrussland und Polen nach Westeuropa geführt, was allen drei Ländern nicht nur hohe Transiteinkünfte beschert, sondern sie auch vor einem Lieferstopp Russlands bewahren soll.

Erika Steinbach sei dringend Einhalt zu gebieten, zeterte dagegen Jarosław Kaczyński in der Bild am Sonntag. Die „Netzwerk“-Idee ist laut der Tageszeitung Gazeta Wyborcza unter der PiS-Herrschaft eingeschlafen, da in diesen Kreisen niemand den Deutschen vertraue. Presse und Politiker sprachen auch am Wochenende in Polen weiter über „Tiefpunkte“, „Irritationen“ oder „Missverständnisse“.

Umfragen in Polen zeigen ein anderes Bild. Laut dem Meinungsforschungsinstitut CBOS haben sich die deutsch-polnischen Beziehungen seit dem Regierungsantritt der PiS in den Augen der Polen nicht verschlechtert, sondern verbessert. Nur 13 Prozent der Befragten gaben nach vier Monaten KaczyńĽski-Herrschaft an, die Beziehungen hätten sich verschlechtert. Fand im Februar 1990 noch jeder zweite Pole, Deutsche und Polen könnten sich nie versöhnen, so meint dies heute nur noch jeder sechste.