berliner szenenFlaschen der Erinnerung

Import/Export

In der Wohnung waren viele Flaschen. Irgendwann waren sie gekommen und dann einfach hier geblieben. Da und dort hatten sie sich versammelt und sprachen von früher. Die, die zwischen Sofa und Fernseher standen, erzählten von der Nacht, als wir sechs Folgen der fünften Staffel von „24“ hintereinander geguckt hatten und der Präsident erschossen worden war. Die Bierplastikflaschen im Flur sprachen von einem Samstagnachmittag letztes Jahr, als ich sie bei Lidl gekauft und dann zum Tischtennisspielen mitgenommen hatte.

Bei den zwei braunen tschechischen Louny-Bier-Flaschen habe ich nur vage Vermutungen, wie sie in meinen Flur kamen. Die türkischen Anderthalbliter-Mineralwasserflaschen waren eine Erinnerung an die Zeit, als es so superheiß gewesen war. Die restlichen Bierflaschen waren den täglichen Biertrinkgewohnheiten geschuldet, also Teil eines Import/Export-Systems, das nur unzureichend funktionierte. Sonst wären sie ja längst schon woanders.

Viele meiner Flaschen sind so lange geblieben, weil ich nicht wusste, wo ich sie abgeben sollte, und es auch nicht übers Herz brachte, sie einfach wegzuwerfen. Dass man inzwischen ungefähr alle überall annimmt, hatte ich bis jetzt nicht recht realisiert. Endlich entschlossen, der als richtig erkannten Maxime zu entsprechen, der zufolge es unbedingt wichtig ist, täglich mehr Dinge aus der Wohnung zu werfen, als in sie hineinzunehmen, brachte ich die Flaschen in vielen Tüten weg. Manche landeten auch neben Pfandflaschen, die aus aufgeräumteren Wohnungen kamen. Freudig erleichtert, wie bei allem, was man zum ersten Mal macht, war ich, als man bei Getränke Hoffmann ohne Murren die Flaschen entgegennahm.

DETLEF KUHLBRODT