Unter Druck

Experten aller Couleur sehen die Dallas Mavericks um Dirk Nowitzki in der heute beginnenden NBA-Saison vorn

NEW YORK taz ■ Mit einer solchen Bürde sind die Dallas Mavericks noch nie in eine NBA-Saison gestartet, wie in die, die heute Nacht beginnt. Das Magazin Sports Illustrated sieht die Mannschaft um Dirk Nowitzki als Titelanwärter. Das Fachmagazin SLAM ebenfalls: „In diesem Jahr werden sie den Job erledigen“, schreibt es in Anspielung auf die knappe Finalniederlage gegen Miami im vergangenen Juni.

Kein anderes Team scheint in diesem Jahr den Mavs das Wasser reichen zu können. Gegen Miami hatte ihnen nur ein Hauch gefehlt, um zum ersten Mal in der Geschichte des Clubs die Trophäe nach Dallas zu holen. Im sechsten Spiel der Serie lagen sie bereits mit 14 Punkten vorn und verspielten in nur einem einzigen schwachen Viertel die Meisterschaft. In der neuen Saison hängt jedoch über dem Titelverteidiger Miami ein großes Fragezeichen. Shaquille O’Neal bleibt ein Schlüsselspieler der Heat. Gleichzeitig fragt man sich jedoch, was der alternde Center noch bringen kann.

Zuletzt waren seine Statistiken über die Saison verteilt wegen häufiger Ausfälle eher mittelmäßig, auch wenn er in den Playoffs noch einmal glanzvolle Momente hatte. Seine schmerzenden Knochen werden ihn in diesem Jahr gewiss nicht mehr durch eine volle Saison tragen, und Miami muss sich überlegen, wie man ohne O’Neal auskommen kann.

Auch bei den anderen vermeintlichen Rivalen der Mavericks sieht es nicht so rosig aus. Die Detroit Pistons haben ihren Star Ben Wallace an Chicago verloren. Die Phoenix Suns haben zwar ihren Jungstar Amare Stoudemire zurück, den sie im vergangenen Jahr schmerzlich vermisst hatten. Man weiß jedoch nicht, wie gut er seine Knieoperation überstanden hat. Und auch beim Ex-Champion San Antonio Spurs kämpfen die Top-Spieler Tim Duncan und Manu Ginobili mit chronischen Verletzungen.

In Dallas scheint hingegen alles zum Besten bestellt. Team-Besitzer Mark Cuban hat im Sommer keine Zeit vergeudet und keine Kosten gescheut, um den Kern seiner Erfolgsmannschaft zusammenzuhalten. Nowitzki bekam einen Scheck über 60 Millionen Dollar, um bis 2010 in Texas zu bleiben. Jason Terry und Josh Howard erhielten neue Verträge über 57 und 40 Millionen. Und der junge Coach Avery Johnson, der die Mavericks innerhalb von nur anderthalb Jahren zum absoluten Topteam geformt hat, wurde für weitere fünf Jahre verpflichtet.

Der Kern der erfolgreichen Finalmannschaft ist also derselbe. Auf den anderen Positionen sind die Zugänge durchweg stärker als die Abgänge: Greg Buckner und Devan George verstärken die Verteidigung, und Austin Croshere wird Nowitzki in der Offensive entlasten. „Wir haben alle Chancen, wieder so weit zu kommen, wie in der vergangenen Saison“, sagt Nowitzki.

Das klingt unterdessen nicht so optimistisch, wie es vielleicht klingen sollte. Wollen die Mavericks wirklich nur so weit kommen? Oder einen Schritt weiter? Ein wenig scheint Nowitzki und seinen Mannschaftskameraden zum Saisonbeginn die Killermentalität zu fehlen. Die knappe und bittere Finalniederlage steckt ihnen noch immer tief in den Knochen. „Den ganzen Sommer über musste ich mir das anhören“, klagt Trainer Avery Johnson. „ ‚Wir waren so nahe dran Coach.‘ Ich frage dann immer zurück, wie man denn wohl aus ,beinahe‘ einen Volltreffer machen kann? Die Antwort ist, indem man das eben hinter sich lässt und sich auf seine Ziele konzentriert.“

Das scheint den Mavericks aber noch schwer zu fallen, sie wirken von der Enttäuschung verkatert. „Sicher müssen wir diese Erinnerungen aus dem System kriegen“, sagt Jason Terry. „Aber sie werden uns immer im Kopf rumspuken.“ Auch Dirk Nowitzki kämpft noch mit den Gedanken an den vergangenen Juni: „Wir müssen das hinter uns lassen“, redet er sich und seinen Kollegen zu. Was nur zeigt, dass die Trauerarbeit noch lange nicht abgeschlossen ist. Deshalb empfiehlt Coach Johnson erst einmal, einen Schritt nach dem anderen zu tun. „Es ist jetzt Oktober, wir müssen jetzt noch nicht an das nächste Finale denken.“

SEBASTIAN MOLL