Kunstvolles Scheitern

Ausgehend von der geplatzten Manifesta 6 eröffnete am letzten Wochenende eine Gegen-Manifesta namens Unitednationsplaza. Sie wird 60 international bekannte KünstlerInnen nach Berlin holen

Gillick und Parreno scheiterten mit ihrem Pol-Pot-Projekt an der politischen Aktualität

VON KITO NEDO

Berlin hat eine neue Kunstakademie. Mit der Eröffnungskonferenz „Geschichten des produktiven Scheiterns: von der Französischen Revolution zur Manifesta 6“ begann am Wochenende die auf ein Jahr befristete Arbeit von unitednationsplaza (unp). Diese Seminare und Vorträge umfassende Veranstaltungsreihe wird etwa sechzig international namhafte Künstler und Theoretiker für Blockseminare nach Berlin holen. Mit dabei: Boris Groys, Martha Rosler und Walid Raad. Organisiert wird der Diskursmarathon von Anton Vidokle, einem 1965 in Moskau geborenen Künstler, der vor kurzem von New York nach Berlin umzog.

Das Projekt selbst geht auf die gescheiterte Manifesta 6 (M6) zurück, die zwischen September und Dezember dieses Jahres in der geteilten zypriotischen Stadt Nikosia stattfinden sollte. Vidokle, Florian Waldvogel und Mai Abu El'Dahab, das Kuratorentrio der europäischen Wanderbiennale, beabsichtigten damals, anstatt einer Ausstellung eine Reihe von Diskussionen und Seminaren dies- und jenseits der so genannten Green Line zu organisieren, die die Stadt seit 1974 in einen griechischen und einen türkischen Teil trennt. Offensiv wollte man mit der Teilung der Stadt umgehen und einen Ort der Begegnung, Debatte und gemeinsamen Arbeit schaffen. Den politisch Verantwortlichen vor Ort ging dies jedoch zu weit: Anfang Juni wurde den Kuratoren von der lokalen Trägerinstitution Nicosia For Art Ltd. (NFA) unter Beteiligung des Bürgermeisters der Stadt, Michael Zampelas, der Vertrag gekündigt. Waldvogel wurde zudem mit einer Schadenersatzforderung von rund 430.000 Euro überzogen.

Doch Vidokle wollte sich mit dem Scheitern des Projektes nicht abfinden, sondern die bereits investierten zweieinhalb Jahre Vorbereitungszeit produktiv umsetzen. Mit einem Minibudget von 200.000 Euro stellte er kurzfristig ein Alternativ-Programm zusammen und ging damit nach Berlin, wohl wissend, dass Gescheiterte aus allen Teilen der Welt nirgendwo herzlicher empfangen werden als hier.

Mit dem vorzeitigen unschönen Ende der Manifesta beschäftigte sich denn auch das erste Panel der Konferenz am vergangenen Freitag. Als Diskutanten waren die Ausstellungsorganisatorin Rana Zincir Celal, der Projektleiter Mete Hatay vom zypriotischen Büro des Osloer Peace Research Institute (PRIO), der Fotograf und Dozent Haris Pellapaisiotis sowie die Juristin und Kunsthistorikerin Pavlina Paraskevaidou eingeladen. Während Zincir von ihren Strategien berichtete, die sie bei der Organisation des bilateralen Ausstellungsprojektes „Leaps of Faith“ (2005) in Nikosia entwickelte, um es vor dem Scheitern zu bewahren, zeigte Mete Hatay in seiner Powerpoint-Präsentation nationalistisch überfrachtete Bilder und Propagandamaterial, mit dem sich sowohl die griechische als auch die türkische Seite in Zypern als Opfer des jeweils anderen darstellen. Paraskevaidou wiederum berichtete von der Isoliertheit der zypriotischen Kunstszene und warf die generelle Frage auf, ob der Manifesta-Trip nach Nikosia angesichts der Schwemme von Biennalen nicht den zu Recht gescheiterten Versuch darstellte, ein internationales Kunstevent mit dem Realitätsgrusel einer geteilten Stadt aufzuladen, um es so dem internationalen Kunstzirkus schmackhaft zu machen.

Am Samstag dann ließ der britische Künstler Liam Gillick das grelle Neonlicht im Seminarraum dimmen und las u. a. aus einem E-Mail-Verkehr mit seinem Künstlerkollegen Merlin Carpenter vor, den er im Vorfeld eines gewissermaßen gescheiterten Ausstellungsprojektes mit Philippe Parreno Ende der Neunzigerjahre geführt hatte. Das Thema der Ausstellung sollte ein fiktives Tribunal für Pol Pot sein, den ehemaligen Führer der Roten Khmer, der zur Zeit der Ideenfindung noch im kambodschanischen Urwald lebte. Noch bevor Gillick und Parreno ihre Schau eröffneten, stellten die Khmer ihren ehemals gefürchteten Führer überraschenderweise plötzlich selbst vor Gericht und kurz vor der Auslieferung an ein internationales Tribunal starb Pol Pot schließlich an Herzversagen. Gillicks und Parrenos Ausstellung fand dennoch statt.

Das Konferenzwochenende ging dann am Sonntag mit einem vierstündigen Seminar von Diedrich Diederichsen in die Schlussrunde. Zunächst stellte DD die berechtigte Frage, warum sich Leute, die sich jahrelang an Universitäten herumgetrieben haben, noch immer das Bedürfnis verspürten, sich an einem Sonntagnachmittag in einen schlecht belüfteten Seminarraum zu setzen – auch diesmal wurde darauf keine Antwort gefunden. Stattdessen diskutierte man in den ersten beiden Stunden lieber über verschiedene Strategien von Künstlern, über ihre Arbeit zu reden, ohne über ihre Arbeit reden zu müssen, und darüber, ob die Reform der Kunstakademien im Zuge des so genannten Bologna-Prozesses irgendwelche interessanten Effekte auf die Akademien und die in ihnen tätigen Menschen zeitige.

Der zweite Teil seines Seminars war der „neuen Hässlichkeit der Unterdrückten und Ausgeschlossenen“ gewidmet, und was das im Bereich der Kunst am Beispiel der Werke von Künstlern wie dem Spanier Santiago Sierra oder der Italienerin Vanessa Beecroft bedeuten könnte. Als das Seminar sich nach der harten Theoriearbeit in der institutseigenen Kellerbar mit ein paar Bieren versorgte, droppte Diederichsen auch noch das gute alte Dylan-Zitat „There's no success like failure, and failure's no success at all.“ In diesem Sinne muss der Auftakt von unitednationsplaza als voller Erfolg gelten.

unitednationsplaza, Platz der Vereinten Nationen 14a, 10249 Berlin. Das weitere Programm und Anmeldung unter: www.unitednationsplaza.org