unterm strich
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Es ist wieder so weit: Die Preise der deutschen Schallplattenkritik sind bekannt gegeben worden! Nun sollte man sich nichts vormachen. Der Umstand, dass jeder Musikliebhaber ein paar alte Platten mit dem „Preis der deutschen Schallplattenkritik“-Aufkleber in seinem Schrank hat, bedeutet schon lange nichts mehr. Wenn man sich die diesjährige Liste aber so anschaut, muss man sich sehr wundern: die CD-Box mit dem Werküberblick von Billy Bragg soll das einzige sein, was in diesem Jahr an auszeichnungswürdiger populärer Musik erschienen ist? Nichts gegen Billy Bragg. Aber auf welchem Planeten leben die Juroren eigentlich? Eine Wahl, die noch verstaubter ist, noch dümmer, noch verdünkelter, noch stärker der Gegenwart verschlossen, noch härter dem eigenen Ressentiment verpflichtet, lässt sich kaum vorstellen. Hier grüßt die Kritik aus ihrem eigenen Grab.

Nun gibt es eine vitalistische Perspektive, aus der man sich über diesen ganzen Staub sogar freuen könnte – wo käme die interessante Musik hin, wenn die Langweiler sie hören würden. Besser also, man hält sie geheim, lässt sie vor sich hin brodeln und stößt seine Aktien gewinnbringend ab, wenn zwanzig Jahre später eine historisch-kritische Ausgabe von den ewigen Schlafmützen mit irgendwelchen Preisen ausgezeichnet wird. Aber so denken wir in dieser Redaktion natürlich nicht. Wir mögen alle Menschen. Und wir möchten, dass jeder kritischen Zugang zu der schönsten Musik, den aufregendsten Büchern, den besten Filmen etc. erhält. Jetzt, hier und heute. Deshalb ist die Auszeichnungspraxis des „Preises der deutschen Schallplattenkritik“ auch so ärgerlich – und anmaßend noch dazu: Diese Archivhuber wollen für die „deutsche Schallplattenkritik“ sprechen? Sie verschenkt all das, was sie potenziell sein könnte: Spiegel all der Diskussionen zu sein, die in und zwischen den verschiedenen Musikmagazinen, Zeitungsredaktionen und Blogs stattfinden. Der „Preis der deutschen Schallplattenkritik“ könnte sich der vornehmsten Aufgabe widmen, die es für Kritikerinnen und Kritiker gibt: den Leser neugierig zu machen. Stattdessen wird populäre Musik behandelt, als komme sie aus einer abgeschlossenen Epoche. RAPP