Songs aus Pulverschnee

FOLKPOP Traurige Abschiede und friedvolle Neuanfänge: Mit „It’s What I’m Thinking Pt. 1 – Photographing Snowflakes“ gelingt Damon Gough alias Badly Drawn Boy ein beinahe ätherischer Neuanfang

Natürlich trägt Damon Gough, der „Badly Drawn Boy“, auf dem Cover seines fünften Albums die obligatorische Wollmütze. Bemerkenswerter ist der Blick seiner Augen darunter, angesiedelt zwischen tiefster Traurigkeit, leichter Herbstmelancholie und absoluter Leere. Ein Psychiater würde wohl Alarm schlagen: Man kennt diesen Blick von schwer Depressiven. Aber Cover-„Kunst“ ist kaum zur Küchen-Psychopathologie geeignet. Ziemlich gut passt dieses Bild des 1969 geborenen Musikers aus Manchester dafür zur Musik – und zu den Texten.

„It’s What I’m Thinking Pt. 1 – Photographing Snowflakes“, der erste Teil einer Trilogie, ist ein sanft schwebender, bald schon ätherischer Neuanfang. Und eine Rückbesinnung an den Anfang selbst, als der Badly Drawn Boy sich noch nicht rumschlagen musste mit den Managern einer großer Plattenfirma. Was irgendwann schwer zulasten seiner Kreativität gehen sollte. „Born In The UK“, das letzte Album aus dem Jahr 2005, kann man wortlos vergessen. Es reicht nicht im Mindesten heran an das faszinierend knuffige Folk-Pop-Debüt „The Hour Of The Bewilderbeast“, für das es im Jahr 2000 den Mercury Award gab. Knapp zwei Jahre später erschien der feine Soundtrack zu Nick Hornbys Film „About A Boy“. Danach war Damon Gough in England weltberühmt. Frenetisches Kritikerlob, Phasen der Stagnation, kleine Aufschwünge, Rückschläge und jede Menge Ärger gaben anschließend einander die Hand. Eine typische Popgeschichte. Und am Ende war der Künstler leer und ausgebrannt.

Damon Gough hat sich berappelt und ein eigenes Label gegründet; es heißt Twisted Nerve. Er sagt, er habe eine ungeheure Fülle an Liedern und Ideen in sich. Er will diese Fülle keinesfalls beschneiden, daher die Trilogie. Der Titel des ersten Teils, „Photographing Snowflakes“, stehe für „jene Momente und Lieder, die aus dem Nichts kommen“. Es gelte sie festzuhalten, „bevor sie wieder dorthin verschwinden“. Schneeflocken fotografieren – wie wahr.

In den neuen Stücken besingt der Badly Drawn Boy traurige Abschiede und friedvolle Neuanfänge. Es sind Texte der Introspektion: vorsichtig suchen sie nach individuellen Wahrheiten, stets offen gegenüber Veränderungen. Im Zentrum stehen die akustische Gitarre, ein gedämpftes Schlagzeug, dezente elektronische Untermalung und Damon Goughs halb geflüsterter melodiegebender Gesang. Der starke Hall macht die Räume weit und lässt fremde Zuhörergedanken um je eigene Achsen kreisen. Diskrete Ohrwürmer hat Damon Gough hier aufgenommen, Songs wie Meditationen zu Pulverschneelandschaften. Eine ungeheure Ruhe hält sie zusammen. Und doch: Ein kleiner Windstoß, und sie sind fort für immer. MICHAEL SAAGER

■ Mo, 22. 11., 20 Uhr, Stage Club, Stresemannstraße 163