Raus aus Bosnien, rein nach Afghanistan

Regierung und Opposition debattieren, ob kurzfristig mehr Soldaten außerhalb Deutschlands eingesetzt werden müssen. Die Fronten gehen dabei quer durch die Parteien. Auch ein neuer Streit über Sinn und Unsinn der Wehrpflicht zeichnet sich ab

AUS BERLIN KATHARINA KOUFEN

Erst ging es um ein Fotos von Soldaten mit Schädeln, dann um Grundsätzliches zum Thema Bundeswehr. Jetzt wird es konkret: Seit dem Wochenende dreht sich die Debatte darum, ob Deutschland auch kurzfristig mehr Soldaten zu Auslandeinsätzen schicken soll.

Nein, lautet die offizielle Position der Regierung. Mittelfristig ist ohnehin geplant, die Zahl der Soldaten für Auslandseinsätze von 9.000 auf 14.000 aufzustocken. Um kurzfristigen Soldatenmangel zu vermeiden, hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) angekündigt, die rund 850 in Bosnien stationierten deutschen Soldaten ab Anfang 2007 nach und nach zurückzuholen. Zurück in Deutschland stünden sie schnell für andere Einsätze zur Verfügung. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands Bernhard Gertz und Jungs Vorgänger Peter Struck (SPD) begrüßten diese Entscheidung.

Nein, mehr Soldaten für Auslandseinsätze sind nicht nötig, sagt auch die SPD-Abgeordnete und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Ulrike Merten. Stattdessen soll beizeiten überprüft werden, wann Soldaten durch zivile Aufbauhelfer ersetzt werden können, im Falle Bosniens etwa durch Polizisten. Ihr Parteikollege Arnold verweist auf die Notwendigkeit, mehr Spezialisten für Auslandseinsätze auszubilden: „Bei der Bundeswehr sind zu viele Leute mit der Verwaltung beschäftigt.“ Stattdessen würden Anästhesisten und Hubschrauberpiloten benötigt – „aber bis die ausgebildet sind, dauert es ein paar Jahre.“

Niels Annen vom linken Flügel der Partei will die Frage „nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten“. Es bedürfe in jedem einzelnen Fall einer sorgfältigen Abwägung und „keiner Routine, wenn der Bundestag über die Verlängerung der Einsätze entscheidet“.

Bei den Grünen und der FDP werteten einige Abgeordnete die Ankündigung des Verteidigungsministers als indirektes Eingeständnis, zu wenig Soldaten für Auslandseinsätze zur Verfügung zu haben. Ausgerechnet die Partei, die sich am schwersten mit der prinzipiellen Entscheidung tat, deutsche Soldaten im Ausland einzusetzen, plädiert nun eher für eine Aufstockung. Grünen-Fraktionsvize Jürgen Trittin: „Wenn Deutschland bei einer Armee von 250.000 Männer und Frauen nicht mehr als 10.000 Soldaten im Ausland einsetzen kann, dann handelt es sich um eine gigantische Fehlplanung.“ Mit Hinblick auf einen – höchst umstrittenen – möglichen Einsatz im Sudan verlangt sein Parteifreund Volker Beck, eine UN-Anfrage zur Beendigung des „Genozids im Sudan“ konstruktiv zu prüfen. Ähnlich argumentiert der FPD-Außenpolitiker Wolfgang Gerhardt. Grünen-Verteidigungsexperte Winfried Nachtwei verweist dagegen auf die bereits beschlossene Aufstockung auf 14.000 Soldaten für Auslandseinsätze. „Das ist doch schon ein ehrgeiziges Ziel.“ Ansonsten will er „eher den zivilen Einsatz“ stärken.

Im Dezember soll auf europäischer Ebene über den Rückzug der Soldaten aus Bosnien gesprochen werden, die Schutztruppe Eufor wird von mehreren europäischen Ländern bestückt. Wahrscheinlich ist, dass schon in den nächsten Wochen, die ersten rund 200 deutschen Soldaten Bosnien verlassen, der Rest dann in der ersten Hälfte 2007.

Sowohl SPD als auch Opposition warnen allerdings vor Aktionismus. Die Regierung dürfe sich nicht von der Medienaufregung über die „obszönen Fotos“ unter Druck setzen lassen, so der Tenor. Die Debatte wird dennoch weitergehen. Wahrscheinlich wieder in Richtung „Grundsätzliches“. Annen zumindest hofft, dass das „überholte Modell der Wehrpflicht“ schnell auf den Prüfstand kommt.