Kein Schlussstrich-Vertrag mit Polen

Bundeskanzlerin Merkel will vermeintliche Ansprüche von Vertriebenen nicht vertraglich ausschließen

Regierung befürchtet Klagenvon Vertriebenen wegenMissachtung ihrer Rechte

FREIBURG taz ■ Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den von Polen gewünschten Schlussstrich-Vertrag abgelehnt. Es genüge, wenn die Bundesrepublik Rückgabeansprüche von deutschen Vertriebenen nicht unterstützt. Ein Vertrag sei „nicht die richtige Lösung“, sagte Merkel, „weil wir damit die Dinge komplizierter machen, als sie heute sind.“

Polens Ministerpräsident Jarosław Kaczyński hatte vor seiner Abreise nach Berlin der Bild ein Interview gegeben. Darin forderte er ein Abkommen, in dem Deutschland „ein für alle Mal“ auf Ansprüche gegenüber Polen verzichtet. Außerdem solle Deutschland dem Treiben der Preußischen Treuhand „ein Ende bereiten“. Die preußische Treuhand ist ein kleines Privatunternehmen, das individuelle Rückgabeklagen von Vertriebenen vorbereitet. Im Gegenzug will Polen auf Reparationsforderungen in Milliardenhöhe verzichten. Das polnische Parlament hatte 2004 als Retourkutsche auf die Forderungen aus Deutschland festgestellt, dass Polen „bislang keinen angemessenen Ausgleich“ für die Kriegsschäden erhalten hat.

Die Bundesregierung verweist auf ein Gutachten, das der Heidelberger Völkerrechtler Jochen Frowein Ende 2004 gemeinsam mit seinem Warschauer Kollegen Jan Barcz erstellt hat. Danach hat Deutschland bereits verbindlich auf staatliche Ansprüche wegen der Vertreibung von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg verzichtet. Die Professoren beziehen sich auf eine entsprechende Erklärung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder im August 2004.

Auf Ansprüche von Einzelpersonen will die Bundesregierung dagegen nicht verbindlich und pauschal verzichten. Sie befürchtet, dass sie sonst von Vertriebenen in Deutschland wegen Missachtung ihrer Rechte verklagt wird. Hilfsweise hat Polen deshalb zuletzt gefordert, dass Deutschland alle finanziellen Folgen von erfolgreichen Vertriebenenklagen übernehmen soll. Auch eine solche „Vollkasko“-Regelung lehnt die Bundesregierung ab. Sie hält die polnische Forderung für überflüssig. Danach bestünden gar keine Ansprüche von vertriebenen Einzelpersonen. Klagen vor nationalen oder europäischen Gerichten hätten keine Aussicht auf Erfolg.

CHRISTIAN RATH