„Man traf sich nicht auf Augenhöhe“

20 JAHRE FUSSBALLVEREINIGUNG Sporthistoriker Michael Barsuhn über den Beitritt des DDR-Fußballs und ungeklärte Altlasten im DFB

■ Der 33-Jährige arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Potsdam. Er ist außerdem Geschäftsführer des Zentrums deutsche Sportgeschichte e. V. in Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört der Transformationsprozess im deutschen Fußball 1989/90.

INTERVIEW TORSTEN HASELBAUER

Der deutsche Fußball feiert am Wochenende in Leipzig 20 Jahre Wiedervereinigung – sogar Jürgen Klinsmann fliegt aus Kalifornien ein. Doch zwischen Rostock und Zwickau, wo einst auch die internationalen Stars zu Gast waren, rollt der Ball meist nur noch in unterklassigen Ligen. In der Bundesliga fehlen die Spitzenklubs der DDR wie der 1. FC Magdeburg, Dynamo Dresden, Carl Zeiss Jena oder der 1. FC Lok Leipzig ganz. Eine Etage drunter sind mit Erzgebirge Aue, Energie Cottbus und Union Berlin nur drei ehemalige Außenseiter des Ostens dabei. Heute treten die Weltmeister von 1990 um Klinsmann gegen die letzten DDR-Nationalspieler um Dariusz Wosz an (MDR, 20.15 Uhr). Die Partie sollte es eigentlich schon am 21. November 1990 geben. Doch massive Sicherheitsbedenken verhinderten das damals.

taz: Herr Barsuhn, wie soll man das bezeichnen, was auf dem Fußballverbandstag vor zwanzig Jahren in Leipzig passierte: verordneter Anschluss oder freiwilliger Beitritt?

Michael Barsuhn: Die sogenannte Vereinigung des Fußballsports wurde exakt so vollzogen, wie es die Politik vorgemacht hatte: Es war ein klassischer Beitritt. Am 20. November, einen Tag vor der offiziellen Fußball-Einheit, hatte sich der ostdeutsche Fußballverband offiziell aufgelöst und sich dann als Nordostdeutscher Fußballverband (NOFV) neu konstituiert. So ist er also als Regionalverband dem DFB beigetreten. Der NOFV hatte an diesem Anschluss ein massives Eigeninteresse, aber andererseits natürlich auch keine andere Wahl.

Hatte der ostdeutsche Fußball zu irgendeinem Zeitpunkt eine reelle Chance, seine Eigenständigkeit zu bewahren?

Nein! Spätestens mit der Volkskammerwahl am 18. März 1990 und dem Sieg der „Allianz für Deutschland“ lief auch im DDR-Fußball alles auf einen Beitritt hinaus. Es gab zwar noch den Wunsch von einigen DDR-Fußball-Altkadern, eigenständig bleiben zu wollen. Doch das war völlig utopisch. Die Reformer hatten sich auch im DDR-Fußball längst durchgesetzt.

Warum dauerte es so lange, bis sich die beiden deutschen Fußballverbände zusammenschlossen?

Das ist vor allem der Westseite geschuldet. Der damalige DFB-Präsident Hermann Neuberger hatte den Zusammenschluss bewusst verzögert. Er hatte dafür ein wirtschaftliches Interesse. In der Qualifikation zur Fußball-EM 1992 in Schweden sollten die DDR und die Bundesrepublik in zwei Gruppenspielen aufeinandertreffen. Die Matches waren für Leipzig und München terminiert und die TV- und Werberechte für die Spiele vom DFB bereits lukrativ verkauft. Vor diesem Hintergrund war Neuberger der Auffassung: „Vereinigung ja. Aber nichts überstürzen.“ Er hatte das Jahr 1992 im Sinn.

Gerade die DDR-Reformer drückten ordentlich auf das Wiedervereinigungstempo.

Nicht ohne Grund. Denn in der Transformationsphase des DDR-Fußballs 1989/1990 hatte der Ostfußball sehr gelitten. Die Abwanderungswelle von Stars wie Thom, Kirsten, Sammer gen Westen war im vollen Gange. Aber auch viele Klubs im DDR-Amateurfußball verloren Spieler. Manche Kicker sind zwar schnell und desillusioniert wieder zurückgekehrt. Aber erst mal waren sie weg. Der Durchbruch wurde dann bei der WM 1990 in Italien erzielt, als Hans-Georg Moldenhauer, der neue Präsident des Ostfußballs, den DFB-Abteilungsleiter Horst Schmidt mit den berühmten Worten für eine flotte Vereinigung gewann.

Welche waren das genau?

Ich zitiere: „Haben Sie gesehen, wie die Mauer gefallen ist? Wissen Sie, dass ein ganzer Block zusammengebrochen ist? Armeen sind weggefegt, Armeen! Staatssicherheit, alles fällt und geht weg, und ich soll in diesem Ganzen ausgerechnet einen eigenständigen Fußballverband mit dem Begriff DDR bis 92 erhalten!?“ Dann ging alles ganz schnell. Der „Vereinigungsverbandstag“ wurde auf den 21. November 1990 datiert.

Dort herrschte Ost-West-Harmonie?

Die Kräfteverhältnisse waren klar. Man traf sich nicht auf Augenhöhe. Der DFB war der Verband, der die Stoßrichtung vorgab. Es gab diverse Wünsche des Ostfußballs. Wie zum Beispiel die Maximalforderung, dass alle 14 DDR-Oberligisten im Profifußball landen sollten. Aber es setzte sich die vom DFB gewollte 2-plus-6-Formel durch. Also zwei Ostvereine für die erste Bundesliga, sechs für die zweite. Der Rest wurde in den Amateurfußball geschickt. Wenn man allerdings die Proportionen sieht – die DDR war ja von der Einwohnerzahl vergleichbar mit NRW –, dann war diese Formel für den Ostfußball sicher kein Skandal, wie oft behauptet wird.

Von einer nachhaltigen, differenzierten und offensiven Aufarbeitung des DDR-Fußballs ist bisher nicht viel zu sehen

Dennoch ließ der Wandel des DDR-Fußballs ihn in seine erste, große Krise schlittern.

Es gab in der DDR offiziell keine Vereine, sondern Betriebssportgemeinschaften (BSG) oder Fußballklubs. Das ist wichtig, wenn man ihn heute verstehen will. Die staatlichen Konstrukte mussten sich unter demokratischen Vorzeichen neu definieren. Deshalb gab es auch im Februar 1990 das Vereinigungsgesetz. Es schuf die Basis dafür, dass sich in der DDR Vereine überhaupt bilden konnten. Es folgte die erste Welle von Vereinsneugründungen. BSGs wurden zu Vereinen, Namen wurden geändert, Vereine mussten ihr Geld selber erwirtschaften, Sponsoren suchen und ehemalige Vorsitzende sollten Manageraufgaben übernehmen. Dieser schwierige, teils fehlerhafte Transformationsprozess sorgt bis heute für Probleme.

Ein Problem der politischen Wiedervereinigung war das Stasi-Problem. Hatte der DDR-Fußball auch eines?

Es sind Fälle von Funktionären, Trainern und Spielern bekannt, die in der Stasi aktiv waren. Bis heute gibt es im NOFV zahlreiche Altlasten. Allen voran Brandenburgs Landesverbands-Präsident Siegfried Kirschen, zu DDR-Zeiten einer der Vorzeigeschiedsrichter des Arbeiter- und Bauernstaates. Kirschen war über 20 Jahre lang als Stasi-Spitzel „Friedrich“ aktiv. Es gab einen Wolfgang Riedel, der in seiner Funktion als DDR-Delegationsleiter den Trainer Jörg Berger auf seiner Flucht 1979 aus Jugoslawien verfolgte. Riedel wurde später Schatzmeister des NOFV und erhielt die DFB-Ehrennadel in Gold. Selbst dem verdienstvollen ehemaligen DFB-Vizepräsidenten Hans-Georg Moldenhauer wurde kürzlich eine Tätigkeit als „Gesellschaftlicher Mitarbeiter“ (GMS) nachgewiesen.

Wie geht der DFB mit der Aufarbeitung um?

Der Fußball ist ein Aufarbeitungsverweigerer. Wenn man bedenkt, wie lange der DFB sich wehrte, sich seiner NS-Vergangenheit zu stellen, erwarte ich jetzt nichts Gutes. Der DFB hat daraus nichts gelernt. Die Erinnerungsarbeit zum DDR-Fußball wird sich wohl ähnlich lange hinziehen. Von einer nachhaltigen, differenzierten und offensiven Aufarbeitung des DDR-Fußballs ist bisher jedenfalls nicht viel zu sehen.