Eine Träne zum Abschied

MÜNCHEN Heute ist der letzte Amtstag von Christian Ude. Er hat die Stadt toleranter gemacht, aber die hohen Mieten nicht gestoppt

Niederlagen konnten Christian Ude seltsamerweise nie etwas anhaben

AUS MÜNCHEN TOBIAS SCHULZE

Eine Zeit nach Christian Ude kann sich in München noch niemand so recht vorstellen. Am wenigsten Christian Ude selbst. Wer den Oberbürgermeister an einem Mittwochabend im März im Festsaal der Paulaner-Brauerei erlebt hat, konnte das deutlich erkennen. An den Biertischen hatte sich die bayerische Politprominenz versammelt, auf der Bühne stand der Mann mit dem Schnauzbart. „Wollt ihr das Ganze nicht noch überdenken? München, ohne mich bist du allein!“, rief er in den Saal, jede Silbe noch stärker betonend, als man es ohnehin von ihm gewohnt ist. Seine Finger zuckten dabei nervös und das Publikum spürte: Nach 21 Jahren im Amt räumt Christian Ude seinen Posten widerwillig.

Dass der Mann auf der Bühne nicht echt war, sondern nur ein Double, ändert daran nichts. Die Paulaner-Brauerei hatte zum Starkbieranstich geladen, einer Art Karnevalssitzung in der Fastenzeit, bei der sich die bayerischen Politiker einmal jährlich verspotten lassen. Diesmal glich die Veranstaltung einer Abschiedsgala für den OB, ein bayerischer Zapfenstreich quasi. Der echte Christian Ude fand sich offenbar gut getroffen. Er saß in der ersten Reihe, sein Schnurrbart bebte ein wenig. Sogar eine Träne kam ihm.

Am heutigen Mittwoch muss der SPD-Politiker Ude sein Dienstzimmer nach über zwei Jahrzehnten räumen. Das Wahlgesetz zwingt ihn mit 66 Jahren in den Ruhestand. Ansonsten hätte er über eine weitere Amtszeit sicherlich nachgedacht, und vermutlich hätten ihn die Münchner ein fünftes Mal gewählt. Bei seiner letzten Wahl 2008 holte er eine Zweidrittelmehrheit. Auch wenn in den vergangenen Jahren im Rathaus nicht mehr alles glatt lief, hat seine Popularität nicht nachgelassen.

Vielleicht, weil München so einfach zu regieren ist wie kaum eine andere Großstadt. Keine Elbphilharmonie wie in Hamburg, keine abgehängten Viertel wie in Berlin. Nur ein wirkliches Problem plagt die Stadt: der Wohnungsmarkt mit seinen horrenden Preisen. In der Innenstadt erreicht der Mietspiegel bald 16 Euro pro Quadratmeter. Und weil immer mehr Menschen nach München ziehen, fehlen bis 2030 noch einmal 100.000 Wohnungen. „Das kann kein Mensch aus dem Ärmel schütteln“, sagt Ude.

Nicht mal er, der vor seiner Zeit im Rathaus als Mieteranwalt mit allen Mitteln für billige Wohnungen kämpfte? Im „Häuserkampf“, wie er es nennt. In den achtziger Jahren vertrat Ude einmal Mieter eines Gebäudes, die der Eigentümer mit aller Macht aus ihren Wohnungen vertreiben wollte. Ein Zimmer inserierte der Vermieter als Bandprobenraum: Der Lärm sollte die übrigen Bewohner verscheuchen. Rechtlich konnte Ude dagegen nicht vorgehen, also schickte er seinen Stiefsohn vor. Der bewarb sich mit einer imaginären Rockband namens „Eternal Repose“. Zu Deutsch: Ewige Ruhe. Der Sohn bekam den Raum und die Mieter blieben vom Lärm verschont. So einer saß nun also 21 Jahre lang im Rathaus, trotzdem steigen die Mieten weiter.

„Es ist eine absurde Vorstellung, dass die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt vom Bürgermeister geregelt werden“, sagt Ude und zählt auf, was er alles versucht habe. In seiner Amtszeit wurden 125.000 neue Wohnungen gebaut, vor allem auf ehemaligen Kasernen- und Bahngeländen. Gleichzeitig verbot die Stadt Luxussanierungen in aufstrebenden Vierteln und kauft unter bestimmten Umständen Mietwohnungen auf, wenn die Bewohner sonst verdrängt werden könnten. Aber all das reicht laut Ude nicht aus, weil die Bundesregierung die Preisbremse für Neuvermietungen erst jetzt einführt.

Zuletzt unternahm aber auch Ude selbst zu wenig gegen die Wohnungsnot. Eine Gruppe von Aktivisten brach letztes Jahr in ein unbewohntes Wohnhaus ein, das der Stadt gehört und offiziell als unbewohnbar galt. Innerhalb eines Tages brachten die Aktivisten die Wohnung auf Vordermann und stellten ein Video davon ins Internet. Kurz darauf wurde bekannt, dass in ganz München über 1.000 städtische Wohnungen leer stehen, viele davon in Bestlage. Dem Mieteranwalt Ude hätte die Aktion sicherlich gefallen, den Oberbürgermeister Ude hat sie aber blamiert. „So ein Verwaltungsversagen darf es eigentlich nicht geben“, sagt er heute.

An Udes Beliebtheit kratzte die Posse aber nicht, so wie ihm Niederlagen seltsamerweise nie etwas anhaben konnten. Nicht im vergangenen Herbst, als er bei der Landtagswahl als Spitzenkandidat der SPD unterging. Und nicht in den Jahren zuvor, als er einen Bürgerentscheid nach dem anderen verlor. Ude wollte keine Straßentunnel für den Mittleren Ring, der die Innenstadt mehrspurig umschließt. Die Münchner stimmten dafür. Ude wollte eine dritte Startbahn für den Flughafen. Die Münchner stimmten dagegen. Ude wollte die Olympischen Winterspiele in die Stadt holen. Die Münchner lehnten ab.

Die Winterspiele hätte die große Hinterlassenschaft seiner Amtszeit werden können. Was statt dessen bleibt? Ein bisschen toleranter wurde München in den letzten zwanzig Jahren, und der Oberbürgermeister hatte daran seinen Anteil. Am Christopher Street Day nahm er schon teil, als die CSU noch Internierungslager für Aids-Kranke forderte. Dass in der Münchner Altstadt wieder eine Synagoge steht, bezeichnet er als seine größte Errungenschaft. Nur aus dem geplanten Moscheebau wurde bisher nichts. Für die Zeit nach Christian Ude gibt es in München also zumindest noch etwas zu tun.