Furchterregende Wirklichkeit

FREMDE Über die ostdeutsche Kleinstadt Zehdenick schrieb Moritz von Uslar sein Buch „Deutschboden“. Nicht alle Zehdenicker waren begeistert. Nun las der Autor vor Ort

„Ich danke diesem Ort, dass er dieses Buch erträgt“, sagt Moritz von Uslar. Die Umarmungen sprechen ihre eigene Sprache. Zum Schluss spielt die Punkband Five Teeth Less

VON BARBARA BOLLWAHN

Der Autor ist angespannt. Seine Finger spielen am Schalter der Lampe auf seinem Tisch. Vor ihm sitzen 250 Männer und Frauen, Junge und Alte, die zum großen Teil eine Stunde vor Beginn ihre Plätze eingenommen haben. Die Lesung im Bowling-Center in einem schönen Backsteingebäude, einem ehemaligen Akkumulatorenwerk, ist restlos ausverkauft.

Doch die Nervosität ist unnötig. Der Autor wird mit herzlichem Applaus begrüßt. Auch der Bürgermeister heißt ihn äußerst freundlich willkommen. Er sagt, dass das Buch des Autors „unterschiedliche Reizungen“ hervorgerufen und er sich bei der Beschreibung des Orts gefragt habe, „Hallo, was hast du hier sieben Jahre falsch gemacht?“ Andererseits habe er überlegt, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ein Exemplar zu schicken, „mit dem Gruß, wir brauchen einfach noch ein paar tausend Euro, um unsere Städte hier in den neuen Bundesländern in Schuss zu bringen“.

Und er hat auch ein Geschenk mitgebracht, ein großes gelbes Ortseingangsschild: „Stadt Oberhavel Hardrockhausen“. Der Autor kann es kaum glauben. „Oh nein! Oh Mann! Das ist ja ein dolles Geschenk.“

In Hardrockhausen

Der westdeutsche Popliterat Moritz von Uslar hat im vergangenen Jahr drei Monate in einer ostdeutschen Provinzstadt in Brandenburg verbracht und darüber das Buch „Deutschboden“ geschrieben, das sich im Untertitel „Eine teilnehmende Beobachtung“ nennt. Bei der Kleinstadt, die er Oberhavel nennt, Spitzname „Hardrockhausen“, handelt es sich um das 14.000 Einwohner zählende Zehdenick im Landkreis Oberhavel, etwa 60 Kilometer nördlich von Berlin.

Von Uslar war in Zehdenick, aber ihn hat nicht diese Kleinstadt interessiert, sondern die Kleinstadt. Das verstehen nicht alle im Ort. Deshalb ist die Lesung für ihn auch so wichtig. Mit kräftiger Stimme und Begeisterung für die Wörter, die er dort gelernt hat, liest er über seinen ersten Abend in der Kneipe „Schröder“. Der „Starreporter“, eine bisweilen lächerliche Figur mit Hütchen und Aufnahmestift betritt eine ihm fremde Welt, die ihm Angst macht, ihn aber begeistert und die er trinkend zu verstehen versucht. Es ist mucksmäuschenstill, während er über „Nazi-Scheiße, Wessi-Scheiße, Ossi-Scheiße, die ganze schöne Scheiße eben“ liest. Über das „eisenhart rausgehauene Brandenburgisch“ der „Topspeed-Sprechmaschinen“ lacht das Publikum. Ausjekaspert, feddich, jenaupe, Arschjeige, ditt darf allet jani‘ wahr sein. Als von Uslar einen seiner Protagonisten mit dem Satz zitiert „Ob Ossis, Wessi, Gelber oder Brauner, ist egal. Wir sitzen alle rückwärts auf dem Lokus“, wird das mit einem lauten „Richtig!“ kommentiert.

Auch wenn von Uslar seit Erscheinen von „Deutschboden“ immer wieder betont, dass Mauerfall oder Wiedervereinigung für ihn keine Rolle gespielt hätten, hat er ein Buch geschrieben, das vom Osten erzählt und vom Blick aus dem Westen darauf.

Das zeigt auch die Diskussion, die dem kräftigen Applaus nach der Lesung folgt. Eine ältere Frau beklagt eine „gewisse Einseitigkeit“: „Zehdenick ist nicht Schröder.“ Ein Mann sagt, dass er „die Respektlosigkeit“ des Autors bewundere, weil er sich selbst nicht traue, so respektlos zu sein. Er möchte Genaueres über die Angst wissen, die von Uslar während seines Aufenthalts ständig begleitet hat. Der Journalist, der für seine Interviewreihe „100 Fragen an …“ allerhand Prominente getroffen hat, kontert mit einer Antwort, die als Kompliment zu verstehen ist. „Das eine ist eine ganz künstliche Wirklichkeit, und hier ist es die furchterregende Wirklichkeit.“ Die sei „mehr exciting“ als jede Interviewsituation.

Auch einer der „Ureinwohner“, dessen Leben nun zwischen zwei Buchdeckeln öffentlich ist und der zitiert wird mit der Ansage „Schreib keinen Scheiß“, meldet sich zu Wort. „Blocky“ freut sich über das Medieninteresse und darüber, dass viele, „die seit 20 Jahren nicht gelesen haben“, jetzt zu dem Buch griffen. „Es ist kein Scheiß rausgekommen“, erteilt er von Uslar den Ritterschlag.

Setz den Hut ab!

„Ich danke diesem Ort, dass er dieses Buch erträgt“, erwidert dieser. Die Umarmungen, das Händeschütteln, die zur Erinnerung mit Handys gemachten Fotos sprechen ihre eigene Sprache. Zum Schluss spielt die Punkrockband Five Teeth Lss, der von Uslar in „Deutschboden“ ein kleines Denkmal gesetzt hat. Zu dem Lied „For the people who died“ reißt ein muskelbepackter Glatzkopf seine tätowierten Arme in die Luft. Hardrockhausen.

Seinen Abschluss findet der Abend in der Gaststätte „Schröder“. In dieser heimeligen Mischung aus Wohn- und Wartezimmer wird von Uslar unaufgeregt, aber herzlich willkommen geheißen.

„Setz den Hut ab!“, ruft einer. „Ja, hast ja recht“, erwidert er und platziert das Ortsschild „Stadt Oberhavel Hardrockhausen“ hinter dem Tresen. Während der Lesung hatte er gesagt, dass es ihm fast schon unheimlich sei, wie wohl er sich in dieser Stadt fühle.

■  Moritz von Uslars Buch „Deutschboden“ ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen, 384 Seiten, 19,95 Euro