Furztrockenes Thema

Über die Schwierigkeiten, den Geburtstag eines Verwaltungskonstruktes gebührend zu feiern: Ersonnen hat den Liederabend „Wir sind Niedersachsen“ ausgerechnet eine Bremerin

VON JENS FISCHER

60 Jahre Niedersachsen. Da kann eine Bremerin nur lachen – mit der 200-jährigen Geschichte der Freien Hansestadt im Rücken. Und das sollte und wollte Imke Burma auch für das Oldenburgische Staatstheater: sich liebenswert lustig machen, auch mal verhohnepiepeln – wenn es um die Mühen niedersächsischer Geburtstagsfeierlichkeiten geht. „Wir sind Niedersachsen“, heißt der gestern erstmals über die Bühne geulkte Liederabend, den die 1973 in Bremen geborene Theatermacherin getextet und inszeniert hat. Dafür erhält sie niedersächsische Subventionen und beglückt damit Bremens Steuersäckel. Unerhört!

Unerhört? Wie konnte das passieren? Ein neuer Dramaturg des neuen Intendanten des alten Staatstheaters an der Hunte erinnerte sich an gemeinsame Zeiten am Out-Theater, der Uni-Bühne Oldenburgs. Und engagierte Imke Burma für das an sich „furztrockene Thema“, wie sie selbst sagt. Was gibt es schon zu feiern? Gibt es überhaupt Niedersachsen? „Es war kein Herzenswunsch, es wurde angeordnet“, das ist für Burma eine passende Formulierung für das Bundesland. Ein maßloser Versuch der einstigen britischen Militärregierung, unterschiedliche Landstriche zu vereinen. „Niedersachsen ist nur ein Verwaltungskonstrukt.“ Weil daraus wenig theatrale Funken zu schlagen sind, fokussiert sie auf die Menschen. Die leben dort, ertragen sich, müssen eine Einheit bilden, ohne eine gemeinsame Identität entwickelt zu haben.

Burma inszeniert ein recht ratloses Quartett: den stoischen Friesen im Cordanzug, einen jovialen Emsländer und gefühligen Braunschweiger sowie eine Zicke aus Hannover mit einem Stich ins Höhere, der Anhänglichkeit zur britischen Monarchie. Die Bühne? „Einer dieser dumpfen Plenarsäle aus den frühen 80ern“, sagt Burma. „Nichtssagend, erstickend, langweilig.“ Niedersachsen als Verwaltungskonstrukt. Die Situation? „Alle schauen auf die Uhr, warten, dass endlich das Büffet eröffnet wird, aber man müht sich, miteinander klar zu kommen, eine würdige 60-Jahr-Feier hinzubekommen.“ Ein Beisammensein, das sich zum musikalischen Wettbewerb der Regionen entwickelt. Von der Friesenliebe wird gesungen, „Hannover ist nicht sexy“ angestimmt, der Welfenspross Ernst-August betrauert, steht er doch nur an 450. Stelle der englischen Thronfolge. Man preist Sex im Dümmer und trägt mit „Harzer Roller“ eine rockige Liebeserklärung an Mittelgebirge und -maß vor. „Nach Holland nur durch uns“ ist der Versuch, Selbstbewusstsein einzuüben, und im „Antidialektlied“ wird das Hochdeutsch gepriesen: „Und ein ei bleibt ein ei, mit e-i und ohne a / Und ein t ist ein t und kein d – sonst ständ d da.“

Nur einer stört das amüsante Gesinge: Bremen. Telefonisch tragen die Hansestädter immer wieder den Anspruch vor, dazugehören, mithelfen, mitfeiern zu wollen. Aber sie sind unerwünscht selbst als Gratulanten. Als typisch niedersächsisch wird entdeckt, dass es nichts typisch Niedersächsisches gibt – außer der Abgrenzung gegenüber Bremen. So ertönt die „Bremenisnichdrin“-Hymne, alle steigen aufs hohe Niederachsenross, den Lower-Saxy-Riding-Song auf den Lippen, die Country-Nummer zum Einheitsgefühl: „Wir finden Frieden nur im sanften Trab / Und nur im Sitzen fühlen wir uns wohl / Auf der Heimat süßen Boden äppelt fröhlich unser Gaul / Manchmal ham wir große Angst, er wirft uns ab.“

So pendeln, schlenkern, taumeln Imke Burmas Reime zwischen ringelnatzig und pennälerjuxig. Heilig ist nichts. Was dann zum Beispiel so klingt: „Und nehmen wir mal Hannibal / Der kam vielleicht nach Überall / Mit plumper Elefantenkraft / Den Harz hätte er nicht geschafft! / Denn da stehn wir! Wir Niedersaxen! / Mit Löwenherz und Streichmettwurst / Und Jägermeister gegen Durst!“ Und wenn der chronische Unernst schon zum Comedy-Rausch wird, bekommt auch Oldenburg eine Ode angedichtet.

Ist das die Rache einer Bremerin, ein Anti-Niedersachsen-Abend? „Nein!“, wehrt sich Imke Burma. Schließlich sei sie auch Niedersächsin. Im zarten Alter von sechs Monaten beging sie eine Grenzverletzung und wurde ins niedersächsische Grasberg gezogen, wo sie bis zu ihrem 19. Lebensjahr „Weite, frische Milch, Wind und Regen“ genossen, und mithin also durchaus einen Draht zum Jubilar habe.

Ihr Studium zum „theatremaker“ hat sie später in Utrecht absolviert, nebenher ein freies musikalisches Studium mit Schwerpunkt Gesang. In Bremen ist Burma vor allem bekannt als Regisseurin des Blaumeier-Ateliers, einer Theatergruppe für behinderte und nicht behinderte Laiendarsteller. Wer mehr von Burmas sprachspielerischen Fähigkeiten hören möchte, kann dies übrigens beim Liederabend „Seefrauenschicksale“ tun. Die singende Burma und der musizierende Walter Pohl nennen sich „Mattenheimer“. So hieß die Künstlerin einst, bis sie einen Seemann aus Burma … ach nein, einen Türken geheiratet hat.

nächste Vorstellung: 16. November, Staatstheater Oldenburg