Comics, die keiner kennt

AUSSTELLUNG In Bremen eröffnet eine Galerie, die sich auf Comic-Art und Grafik spezialisiert. Zum Auftakt gibt es belgische Independent-Comics mit manischen Zügen

Stilistisch lassen sich die ausgestellten Arbeiten kaum auf einen Nenner bringen. So offensichtlich selbstgemacht und simpel die Bilder mitunter sind, reflektieren sie Arbeitsweise und Geschichtlichkeit des Mediums doch in beeindruckender Tiefe

VON JAN-PAUL KOOPMANN

Erbaulich sind die Comics des Belgiers Carl Roosens nicht gerade: Auf vollgestopften Zeichnungen wimmelt es von Gestalten mit verzerrten Fratzen, die es wenig lustvoll miteinander treiben. Ein nackter Riese mit Dreitagebart hebt spielerisch ein parkendes Auto in die Luft, während er einem anderen aufs Dach pisst. Die Szenen sind roh und skizzenhaft, spiegeln eher alptraumhafte Eindrücke als linear erzählte Geschichten.

Zumindest diese Station der Ausstellung „Belgische Independent-Comics – Zwischen Alltagskultur und Avantgarde“ im „Projektraum 404“ weckt Erinnerungen an die Zeit, bevor die Comics es sich unter dem Label „Graphic Novel“ im Kulturbetrieb gemütlich gemacht haben. Und natürlich ist das Absicht.

Die ausgestellten KünstlerInnen gehören zu den Kollektiven „Habeas Corpus“ und „Nos Restes“, die sich ganz bewusst dem Buchmarkt verweigern. Ihre Comics haben keine ISBN-Nummern. Die handgemachten Hefte und Faltblätter erscheinen in Auflagen im niedrigen dreistelligen Bereich und werden auf Conventions und in Szenetreffs zu symbolischen Preisen verkauft: Einige der limitierten Kunstwerke sind bereits für zwei Euro zu haben.

Inhaltlich sind Roosens Orgienbilder die extremsten der Ausstellung. Andere zeigen melancholische Landschaften aus geometrischen Formen oder sezieren zwischenmenschliche Beziehungen in kurzen Dialogen. Mit Text wird dabei sparsam gearbeitet. Auch wer kein Französisch spricht, kann den unübersetzten Geschichten meist mühelos folgen. Stilistisch lassen sich die ausgestellten Arbeiten kaum auf einen Nenner bringen.

Kurator Gregor Straube sagt, er wolle die „ästhetische Breite“ der Arbeiten an den „Grenzen des Mediums“ zeigen. So offensichtlich selbst gemacht und simpel die Bilder mitunter sind, reflektieren sie Arbeitsweise und Geschichtlichkeit des Mediums doch in beeindruckender Tiefe. Die Arbeiten von Jérôme Puigros-Puigener bewegen sich ausschließlich auf dieser Metaebene und sind dabei gleichermaßen Zerstörung wie Hommage: Sein Bild „2280 – Soracip“ ist die Rekonstruktion eines „Tim und Struppi“-Covers. Er hat die Ikone des franko-belgischen Comics gerastert, Quadrat für Quadrat nachgezeichnet und die Elemente gedreht. Obwohl so kein Teil mehr dem Original entspricht, ist es doch auf einen Blick erkennbar.

An anderer Stelle verzichtet er vollständig auf Inhalte und experimentiert nur mit verschiedenen Anordnungen von Panels. Was an eine Bauzeichnung erinnert, ist eine Zuspitzung und ein Kommentar zu Scott McCloud, dessen Comics über Comics seit Jahren Pflichtlektüre angehender AutorInnen und TheoretikerInnen gleichermaßen sind. Obwohl die „Do it Yourself“-Szene Genrediskussionen um Kunst und Popkultur mit sympathischer Ignoranz unterläuft, zeigt sich hier, dass sie nicht im luftleeren Raum wirkt.

Das wäre auch albern, denn nicht marktkonforme Comics im Selbstverlag zu vertreiben, ist im Grunde ein alter Hut. Schon Robert Crumb, Wegbereiter und Star des amerikanischen Indie-Comics, hat 1968 seinen langen Marsch Richtung Edelhardcover und Feuilleton im Selbstverlag begonnen. Im Zeitalter von Webcomics und Print-on-Demand, wo jeder Einsteiger ohne finanzielles Risiko den Verleger machen kann, hat das auch etwas Nostalgisches und letztlich Regressives.

Trotz seiner Begeisterung für Wildes und Unkonventionelles ist das auch Straube klar: Das „hin und her zwischen Markt und Kunst“ und das vorsätzliche „sich nicht anpassen wollen“ wird in der Ausstellung nicht verschleiert, sondern offensiv ausgestellt. Viele der Arbeiten unterscheiden sich qualitativ und stilistisch gar nicht so sehr von dem, womit alternative deutsche Verleger wie Reprodukt oder der Avant Verlag Schlagzeilen machen. Die BelgierInnen sind nicht zu unprofessionell für den Markt – sie wollen nicht. So kommentiert die Vorstellung der lokalen belgischen Szene auch grundsätzliche Tendenzen und Debatten des globalisierten Mediums.

Im Projektraum ist nicht die vollständige Ausstellung zu sehen. Ein Teil wird im Altbauring der Stadtbibliothek zu sehen sein. Vielleicht ist das ein Anlass, den Galeriebesuch mit einem kleinen Stadtspaziergang zu verbinden.

Mit „Belgische Independent-Comics“ ist der Galerie in der Bremer Neustadt ein ausgesprochen sehenswerter Start geglückt. Und die nächsten Projekte sind bereits in der Mache: Ab Juli stellen Straube und Mitbetreiber Jan Wissing zwei südafrikanische Künstler aus, die ebenfalls im Grenzbereich von Storytelling und Malerei arbeiten. Eine reine Comicgalerie sei der „Projektraum 404“ aber nicht, sagt Straube. Er wolle Sachen nach Bremen bringen, die ihm gefallen und die hier bisher unterhalb des Radars laufen. Dass Comics dabei Schwerpunkt sind und wohl auch bleiben werden, liege an seinem persönlichen Interesse.

Wie breit dieses gestreut ist, lässt sich in Bremen schon seit einigen Jahren beobachten. Auch wenn sein „Kulturbüro“ erst mit dem Projektraum wirklich heimisch wurde, sind die belgischen Comics nicht das erste Projekt. Straube hat internationale Ausstellungen zu Comics und Fotografie organisiert. Ende letzten Jahres war sein Projekt „futureSHOCK?!“ in der Spedition zu sehen, wo künstlerische Arbeiten von Jugendlichen ausgestellt wurden.

Die Zukunft der kleinen Galerie bleibt jedenfalls spannend: Die Ausstellung der Belgier hat die Messlatte hoch gelegt, aber an mangelndem Enthusiasmus wird es sicher nicht scheitern.

3. Mai bis 8. Juni im Projektraum 404, Hegelstraße 36. Stadtbibliothek am Wall: 5. Mai bis 2. Juni. Weitere Infos unter: www.kulturbuero-bremen.de