Legende in der Fremde

BASKETBALL I Die besten Tage von Allen Iverson liegen lange zurück. Dass er einmal in Braunschweig Körbe werfen würde, hätte er sich bis vor Kurzem wohl nicht träumen lassen

„Ich will den Menschen schenken, was sie lieben“

ALLEN IVERSON

AUS BRAUNSCHWEIG ANDREAS RÜTTENAUER

„Wenn wir später einmal über unsere Karriere reden werden, dann wird dieser Tag sicher eine große Rolle spielen.“ John Patrick, der Trainer der BG Göttingen, hat das gesagt nach dem Eurocup-Spiel seiner Basketballer gegen Besiktas Istanbul am Dienstag in Braunschweig. Der Abend sei „sehr exciting“ gewesen. Aufregend war für ihn weniger der knappe 85:83-Sieg seines Teams, den Trent Meachum mit der Schlusssirene sichergestellt hat, als vielmehr die Begegnung mit Allen Iverson. Der Mann, der eine Zeit lang als bester Basketballer der Welt galt, der 2001 zum wertvollsten Spieler der nordamerikanischen Liga NBA gewählt wurde, ist seit ein paar Tagen Istanbuler. Nun hielt der 35-Jährige Hof in der Löwenstadt und genoss die Blicke, die sich auf ihn richteten.

Außer sich war der türkische Trainer Burak Biyiktay nach dem Spiel. Mit der Zeitmessung in den Schlusssekunden sei etwas faul gewesen. Ein Skandal sei das. Man habe Videoaufnahmen und werde Protest einlegen. Noch Fragen? Was den Coach so aufbrachte, interessierte niemanden. „Ist es möglich, mit Herrn Iverson zu sprechen“, fragte ein Reporter. Kurz darauf in der Kabine: 20 erwachsene Männer stehen mit Blöcken und Aufnahmegeräten in der Hand wie Fans um einen müden Basketballer. Der sondert gnädig ein paar Sätze ab: „Ich will den Menschen die Talente zeigen, die mir Gott mitgegeben hat. Ich will ihnen schenken, was sie lieben. Dass ich hier bin, ist doch großartig für die Fans.“ So recht verstanden hat er deshalb nicht, warum die meisten der 4.200 Fans in der Halle den knappen Sieg so überschwänglich gefeiert haben und nicht ihn, der doch gekommen war, sie zu beglücken.

„Er weiß noch nicht, wie das in Europa ist“, meint Ademola Okulaja, der ehemalige deutsche Nationalspieler. In der NBA werde es erst in den Playoffs so richtig ernst. Die Spiele der regulären Saison seien eher ein Schaulaufen. „Er wird schon noch besser“, ist sich Okulaja sicher. 32 Minuten war Iverson auf dem Feld, 18 Punkte hat er gemacht und sich nicht schlecht gewundert, wie wenig Platz er hatte, wenn er mit dem Ball zum Korb gezogen ist. Von wegen Schaulaufen!

Weit zurück lag sein Team lange Zeit. Erst als Iverson ausgewechselt wurde und Besiktas von Manndeckung auf Zonenverteidigung umschaltete, wurde es eng. Als die Türken zu Beginn der Schlussviertels in Führung gingen, saß Iverson auf der Bank. Zonenverteidigung! Das war in der NBA lange Zeit verboten. Warum? Um solchen Ausnahmedribblern wie Iverson ihre spektakulären Sololäufe zu ermöglichen. Seine Mannschaft führte, und Iverson wickelte sich immer tiefer ein in das Handtuch, das man ihm um die Schultern gelegt hatte.

Iverson in Europa: Viel wurde spekuliert über die Gründe für den Wechsel des Basketballers mit der HipHop-Attitüde, der einst regelmäßig mehr als 40 Punkte in einem NBA-Spiel aufgelegt hat. Die Liebe zum europäischen Systembasketball hat ihn sicher nicht zur Unterschrift in Istanbul bewogen. Da ist er beim lediglich drittstärksten Klub der Stadt, der nicht einmal in der europäischen Eliteklasse, der Euroleague, spielen darf, gelandet. 4 Millionen Dollar verdient er in den zwei Jahren, die sein Vertrag läuft. War es eine Flucht? Gesoffen soll er haben in den letzten Monaten, so wurde berichtet, weil er so frustriert gewesen sei darüber, dass ihn kein NBA-Team mehr wollte. Spielsüchtig soll er sein, schrieben andere, und einen Großteil der über 100 Millionen Dollar, die er in seiner Karriere verdient hat, verzockt haben. Iverson allein weiß es. Was er sagt? Das türkische Essen sei „interessant“. So, so.

Mit seinen 18 Punkten war er nach Michal Ignerski (21) der zweitbeste Scorer des Teams. Einmal hat er die Halle zum Raunen gebracht, als er einen Korbleger versenkte, „den ein normaler Mensch nicht machen kann“, wie Göttingens Robert Kulawick hernach meinte. Wirklich begeistern konnte er nur einen an diesem Abend. John Patrick, den Trainer des Bundesligisten aus Göttingen. „Andere brauchen drei, vier Monate, um sich einzugewöhnen, und er ist doch erst zehn Tage da.“ Ohne Iverson hätte Göttingen eh nicht gewonnen. Dessen Erscheinen sei extrem motivierend gewesen für den Vorletzten der Bundesliga. „Die Spieler hatten doch alle mal ein Poster von ihm ihm Zimmer hängen.“ Sehr exciting, das alles.