Atomkraft sorgt für heißen Herbst

Heute wird vor dem AKW Brunsbüttel gegen Sicherheitsmängel demonstriert. Umweltschützer sollen Einblicke in die Reaktor-Mängelliste erhalten. Ein Bericht zum AKW Forsmark begründet Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers Vattenfall

VON REIMAR PAUL
UND SVEN-MICHAEL VEIT

Mit der Ankündigung eines heißen Herbstes haben Anti-Atom-Initiativen die Messlatte für das Gelingen ihrer Mobilisierung recht hoch gehängt. Heute wollen sie vor dem Uralt-AKW Brunsbüttel an der Unterelbe gegen längere Laufzeiten demonstrieren. Am nächsten Wochenende wird zudem ein Castortransport aus der französischen Plutoniumfabrik La Hague im Wendland erwartet.

Argumentationshilfe erhält die Anti-Atom-Bewegung durch einen Bericht der schwedischen Atomaufsichtsbehörde SKI über den Beinahe-GAU im Atomkraftwerk Forsmark, den die taz gestern veröffentlichte. Dieser ist weitgehend baugleich mit Brunsbüttel. Betrieben werden beide von Tochtergesellschaften des Stromkonzerns Vattenfall.

Die SKI äußert in ihrem Bericht massive Zweifel am „Sicherheitsmanagement“ in Forsmark und fordert einen „Maßnahmenplan“ zur Schulung der Mitarbeiter. Insbesondere müsse Vattenfall nachweisen, wie „die Fähigkeit der Mitarbeiter zur Einschätzung und Untersuchung von Mängeln und zur Ergreifung erforderlicher Sicherheitsmaßnahmen gestärkt“ werden solle. Bis auf weiteres unterstellt die SKI deshalb den Reaktor einer verschärften „Sonderaufsicht“.

Damit sei „die Sicherheitskultur“ des Betreibers in Frage gestellt, kommentiert Hans-Josef Fell, Energiepolitiker der grünen Bundestagsfraktion. Der Bund und das Land Schleswig-Holstein dürften „die mangelnde Eignung Vattenfalls, Atomkraftwerke zuverlässig zu betreiben, nicht länger ignorieren“. Rein technische Prüfungen von Reaktoren seien „unzureichend“, meint Fell, „wenn das Sicherheitsmanagement in Frage gestellt“ sei.

Seit der Inbetriebnahme Brunsbüttels im Jahr 1977 ist es mehrfach zu Störungen und Schnellabschaltungen gekommen. Am 14. Dezember 2001 gab es im Reaktor eine Wasserstoffexplosion. Dabei wurde eine Rohrleitung auf einer Länge von etwa drei Metern in unmittelbarer Nähe zum Reaktorkern zerfetzt. Die Reaktorprüfer der schleswig-holsteinischen Atomaufsichtsbehörde kamen nach einer Kontrolle im Februar 2002 „leichenblass“, wie der Spiegel berichtete, aus dem AKW zurück.

Zuletzt war der Siedewasserreaktor mit rund 800 Megawatt Leistung im Sommer nach dem schweren Störfall in Forsmark in die Kritik geraten. Sie entzündete sich vor allem an der Frage, ob die Notstromversorgung in Brunsbüttel sicher ist.

Vattenfall hatte deshalb am 21. September einen umfangreichen Untersuchungsbericht vorgelegt. Danach gebe es mehrere unabhängige Notstromsysteme, die „jedes Risiko abdecken“ würden. Dieser Bericht wird derzeit von den Aufsichtsbehörden des Bundes und des Landes begutachtet. Gerd Rosenkranz von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) glaubt dagegen: „Die Sicherung ist nur für bestimmte Störfälle gedacht.“

Deshalb drängt die DUH seit Wochen auf Einsicht in eine aktuelle Mängelliste „Entweder es steht nichts Dramatisches drin, dann muss man es nicht wie ein Staatsgeheimnis behandeln“, sagt Rosenkranz. Oder es gebe gravierende Mängel, „dann muss die Öffentlichkeit das wissen“. Gestern konnte die Umwelthilfe einen ersten Erfolg verbuchen.

Das für die Atomaufsicht zuständige Kieler Sozialministerium erklärte, die DUH habe grundsätzlich einen Anspruch auf den Zugang zu dieser Liste. Diese enthalte „offene Punkte“, die sich aus der Auswertung der periodischen Sicherheitsüberprüfung in Brunsbüttel ergeben hatten. Insbesondere handele es sich um „die Umsetzung von sicherheitstechnischen Verbesserungsmaßnahmen“. Vattenfall hatte sich gegen eine Weitergabe der Mängelliste gewehrt. Der Energiekonzern kann noch gegen den Beschluss klagen und die Herausgabe damit zunächst weiter verhindern.

Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) kritisierte derweil erneut die Informationspolitik von Vattenfall. Sie hatte die Brunsbüttel-Betreiber in den vergangenen Monaten wiederholt zu mehr Transparenz aufgefordert.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) forderte Schleswig-Holstein erneut auf, dem Reaktor Brunsbüttel wegen der offensichtlichen Mängel am Notstromsystem die Betriebserlaubnis zu entziehen. „Die Betreiber haben die Öffentlichkeit mehrmals belogen“, so BUND-Landesgeschäftsführer Hans-Jörg Lüth.

Vor einer Stilllegung des Meilers jedoch schreckt die Ministerin zurück. Der Betreiber ist da weniger zimperlich. Nach dem Atomkonsens müsste Brunsbüttel in zwei Jahren abgeschaltet werden. Vattenfall aber hat bereits angedeutet, demnächst eine Verlängerung der Laufzeit zu beantragen.