Keine Täter – nur Opfer

Mit dem Sportgerichtsurteil zu den antisemitischen Ausfällen beim Spiel in der Berliner Kreisliga B zwischen TuS Makkabi und der VSG Altglienicke will sich keine der betroffenen Parteien abfinden

AUS BERLIN JOHANNES KOPP

Am 13. Oktober fällte das Sportgericht des Berliner Fußballverbandes folgendes Urteil: Das abgebrochene Spiel zwischen Altglienicke II und dem jüdischen Verein Makkabi Berlin muss wiederholt werden. Altglienicke soll zwei Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen. Spieler, Trainerin sowie Betreuer des Vereins sind verpflichtet, ein Antirassismusseminar zu belegen. Außerdem bestrafte man den Schiedsrichter mit einer lebenslangen Sperre. Wie jetzt bekannt wurde, haben alle drei beteiligten Parteien Berufung gegen das Verfahren eingelegt.

Was war passiert? „Das Schlimmste, das nicht nur uns, sondern überhaupt einem jüdischen Verein seit Ende der Hitler-Diktatur widerfahren ist“, sagt Tuvia Schlesinger, der Vorsitzende vom TuS Makkabi. Am 26. September drangsalierten 10–15 Zuschauer in Altglienicke Spieler des TuS Makkabi II mit antisemitischen Parolen: „Wir bauen eine U-Bahn nach Auschwitz“, „ Wir vergasen euch“, „Jude, verrecke“, „Heil Hitler, mein Führer“, wurde skandiert, berichten die Spieler von Makkabi. Eine pogromartige Stimmung sei entstanden, fasst Schlesinger das Geschehen zusammen. „Das Schlimmste an allem ist, dass die Vereinsfunktionäre, die Schiedsrichter und auch die übrigen Zuschauer nichts unternommen haben“, sagt er. Die Spieler selbst hätten dem Spuk ein Ende bereitetet. Sie weigerten sich in der 78. Minute, die Partie fortzusetzen, Erst danach verwies die Trainerin von Altglienicke die Störer vom Vereinsgelände.

Rainer Lange, der Leiter der Fußballabteilung von Altglienicke, schnauft angesichts dieser ihm schon längsten bekannten Vorwürfe immer noch schwer am Telefon. Er ist äußerst aufgeregt. Für seine Trainerin Kerstin Forchert sei das bis zum Spielabbruch „ein ganz normales Fußballspiel“ gewesen, betont er.

Sie hätte von den Parolen nichts gehört. „Hier regiert die NPD“, ja, diesen Sprechchor habe man vernommen. „Wenn Sie schreiben“, fleht Lange, „denken Sie daran, was das für den Verein bedeutet. Wir haben hier noch andere Sportabteilungen. Wir machen Jugendarbeit. Alles ehrenamtlich.“ Lange fühlt sich als Opfer, nicht als Täter. Er sieht die Existenz seines Clubs bedroht. „Der Schiedsrichter hat doch auch nichts gehört“, wendet er ein.

Der wurde aber vom Sportgericht lebenslang gesperrt. Das Gericht schenkte der Darstellung der Makkabi-Spieler mehr Glauben. Man hielt es für unglaubwürdig, dass der Schiedsrichter nichts von den antisemitischen Parolen mitbekommen habe. Einige Indizien sprachen dafür, dass in Altglienicke mehr passiert ist, als der dort ansässige Verein zugeben möchte. Im Internetforum von Altglienicke entschuldigte sich der Jugendleiter bei Makkabi wegen der Beschimpfungen, die man vor Gericht nicht gehört haben wollte. Der Beitrag wurde nach wenigen Stunden von der Homepage gelöscht.

Dem Verein scheint der Kampf um seine eigene Existenz mehr zu bedeuten als der gegen den Rassismus. Es gab auch einen Zuschauer, der einem anderen Verein angehörte und die Vorkommnisse dem TuS Makkabi gegenüber bestätigte. Er weigerte sich aber, vor Gericht seine Anonymität preiszugeben.

Über all diese Details und Widersprüche wird bald wieder vor dem Sportgericht in der Berufungsverhandlung gesprochen werden. Der TuS Makkabi erhebt Einspruch, weil das erste Urteil als zu milde und inkonsequent betrachtet wird. Es passe nicht zusammen, sagt Schlesinger, dass man den Schiedsrichter lebenslang fürs Weghören sperre, die Vereinsverantwortlichen aber mit einem zwangsweise verordneten Antirassismusseminar davonkommen.

Der Verantwortliche der VSG Altglienicke Rainer Lange versteht wiederum nicht, weshalb seine Spieler überhaupt ein Antirassismusseminar besuchen sollen. „Was sollen die da? Sie haben sich nichts zuschulden kommen lassen.“ Nach dem Spiel hätten sie sich sogar bei Makkabi für eventuell vorgekommene Beleidigungen entschuldigt. Er möchte das Urteil revidiert sehen. Er will für nichts die Verantwortung übernehmen. Im Gegenteil, er sieht sie sogar auf Seiten des TuS Makkabi liegen. „Makkabi hätte das Spiel doch früher abbrechen müssen, wenn sie so beleidigt werden.“