Kanzlerin statt Frauenpolitik

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft wird zur Gleichstellung nur die Frau an der Spitze beitragen, fürchten Kritikerinnen

BERLIN taz ■ Die EU quält ihre Mitgliedsstaaten in Sachen Gleichstellung von Frauen und Männern mit bürokratischen Antidiskriminierungs-Richtlinien und Wortungetümen wie „Gender-Mainstreaming“ oder „Gender-Budgeting“, die noch mehr Bürokratie über uns häufen werden und auch noch die Frauen unzulässig bevorzugen. So ähnlich kann man es in FAZ oder Spiegel seit Jahren nachlesen.

Solche medialen Störfeuer tragen auch dazu bei, dass selbstverständliche Strategien, mit denen die EU Ungerechtigkeiten bekämpfen will, in Deutschland als Zumutung empfunden werden. So kam es etwa, dass die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie in Deutschland jahrelang verschleppt wurde – eine Gesetzgebung, die in anderen Ländern geräuschlos über die Bühne ging. Die Richtlinie zu den Unisex-Tarifen bei Versicherungen versuchte der damalige Kanzler Gerhard Schröder persönlich zu verhindern.

Wenn nun ab Januar die deutsche Regierung die Ratspräsidentschaft übernimmt, dann wird der Motor, den die EU für die deutsche Gleichstellungspolitik bedeutete, wohl erst einmal ausfallen. Das jedenfalls meinen Frauenpolitikerinnen aus dem EU-Parlament wie auch die deutsche und die europäische Frauenlobby. Am Sonntag wird das Kabinett seine Pläne für die Ratspräsidentschaft festklopfen. Im Vorfeld wollten die European Women’s Lobby und der Deutsche Frauenrat Kanzlerin Angela Merkel für einige Gleichstellungsprojekte gewinnen, doch bekamen sie keinen Termin, berichtete Brigitte Triems von der Women’s Lobby Anfang der Woche auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung zu diesem Thema. Als die EU-Gleichstellungs- und FrauenministerInnen sich kürzlich in Helsinki abstimmten, schickte das deutsche Frauenministerium nicht einmal einen Staatssekretär. Von Frauenministerin Ursula von der Leyen wurde bisher lediglich bekannt, dass sie mit Portugal und Slowenien, den beiden folgenden Ratspräsidentschaftsländern, eine europäische „Allianz für Familie“ gründen will. Mit Gleichstellungsinitiativen ist sie noch nicht aufgefallen.

Auf der europäischen Agenda steht im ersten Halbjahr 2007 vor allem die Einrichtung eines europäischen Gender-Instituts, das Beispiele für gute Gleichstellungspolitik aus allen EU-Ländern sammeln und verbreiten soll. Damit dieses Institut mit seinen 13 MitarbeiterInnen nicht von 27 Ländervertretern beaufsichtigt werden muss, schlug die EU-Kommission vor, das sogenannte Management Board rotierend zu besetzen. Wer sich sträubt und die Einrichtung des Instituts damit bisher blockiert, ist unter anderen – Deutsch-land.

Erschwerend kommt hinzu, dass auch aus der Kommission, in der momentan der Tscheche Vadim Spidla für die Gleichstellung zuständig ist, keine Initiativen zu erwarten sind. Außer wolkigen Bekräftigungen, etwa dass die Lücke zwischen Männer- und Frauenverdiensten sich schließen müsse, gibt die von ihm entwickelte „Roapmap“ für die nächsten fünf Jahre wenig her. „Umso wichtiger wäre es, wenn eine Ratspräsidentschaft hier Druck auf die Kommission ausüben würde“, meint die EU-Abgeordnete Lissy Gröner (SPD). Das Problem aber ist, dass Deutschland selbst alles andere als ein Vorbild ist. Hier ist die Gehaltslücke zwischen den Geschlechtern besonders hoch. Hier widerspricht auch das Ehegattensplitting, das Frauen belohnt, wenn sie möglichst wenig arbeiten, der EU-Roadmap. In der wird gefordert, alles abzubauen, was Frauen vom Arbeitsmarkt fernhält. Im Gegensatz zur jetzigen Ratspräsidentschaft Finnland hat Deutschland sich bisher vor allem als Bremsblock hervorgetan. In Finnland etwa sind alle Staatsunternehmen quotiert, Privatunternehmen mit mehr als 30 MitarbeiterInnen müssen ein Gleichstellungsprogramm vorlegen, referierte die Leiterin des Berliner Finnland-Instituts, Marjaliisa Hentilä, bei der Ebert-Stiftung.

So könnte es durchaus sein, dass sich während der deutschen Ratspräsidentschaft die Rollen umkehren, so Gröners Hoffnung: Die EU könnte wohl von Deutschland wenig lernen, aber Deutschland ja vielleicht von anderen Ländern. HEIDE OESTREICH