Demut statt Wehmut

SCHWIMMEN Bei den Deutschen Meisterschaften überzeugen die Athleten mit guten Ergebnissen – allen voran Paul Biedermann

Mit Einbrüchen kennen sich die deutschen Schwimmer gut aus

AUS BERLIN ANDREAS MORBACH

Rio de Janeiro ist zwar weit und Olympia 2016 am Fuße des Zuckerhuts noch viel weiter weg, aber ganz ohne Michael Phelps ging es am Schlusstag der nationalen Schwimm-Meisterschaften doch nicht. Denn wie fast immer in den letzten zehn Jahren zeigten Deutschlands Wassertreter beim Qualifikationstreffen – diesmal für die EM im August in Berlin – eine Reihe guter Leistungen, die ihnen Lust auf mehr machen.

Als Gutelaunebär krabbelte zum Beispiel Steffen Deibler schon nach den Vorläufen am Sonntag aus dem Becken: Mit der weltweit drittschnellsten Zeit über 100 Meter Schmetterling in diesem Jahr (51,97 Sekunden) – und mit einer transatlantischen Botschaft für den jüngst in den Pool zurückgekehrten Mega-Olympioniken Phelps. „Ich bin 2012 gegen ihn geschwommen, und wir können das in Rio gerne wiederholen“, signalisierte der Mann vom Hamburger SC grundsätzliche Bereitschaft zu einem olympischen Neuaufguss in Brasilien. Vor zwei Jahren an der Themse flog Holzplaketten-Spezialist Deibler (26) beim Phelps-Sieg über zwei Bahnen Schmetterling 37 Hundertstelsekunden an Bronze vorbei. Und weil er auch bei der WM im Vorjahr, als Weltjahresbester angereist, wieder nur Vierter wurde, wäre der gebürtige Oberschwabe schon froh, wenn für ihn beim kontinentalen Heimspiel in dreieinhalb Monaten die erste Einzelmedaille auf der langen Bahn herausspränge.

Die Niveau in Europa auf den beiden kurzen Schmetterlingstrecken jedenfalls ist enorm hoch – und am Samstag drehte im Finale über 100 Meter Freistil gar ein auf dieser Strecke Ungeübter Deibler eine lange Nase: Paul Biedermann, der bei seiner Rückkehr auf die Schwimmbühne am Freitag bereits über 400 Meter Freistil gesiegt hatte. Auf den zwei Bahnen Kraul schoss der gefürchtete Endspurter im Finish noch an seinem blonden Konkurrenten vorbei. „Steffen ist angegangen wie der Blitz, aber zum Glück gibt es ja noch die zweite Bahn“, grinste Biedermann. Er habe auf der Schlussbahn ein „Wegfaulen“ der Beine erlebt, erklärte Deibler.

Mit solchen Einbrüchen kennen sich die DSV-Kandidaten generell gut aus. Erfreulichen Qualifikationen wie auch diesmal wieder – 28 Sportler erfüllten an den ersten drei DM-Tagen die Norm – folgten regelmäßig große Enttäuschungen. Selbst der allzeit muntere neue Hoffnungsträger des Verbandes, Bundestrainer Henning Lambertz, konnte daran bislang nichts ändern: Mindestens 70 Prozent der DSV-Schwimmer sollten bei der WM in Barcelona schneller sein als zuvor in Berlin – am Ende bekamen nicht einmal 20 Prozent eine persönliche Steigerung hin.

Paul Biedermann gehörte nicht zu diesem Grüppchen – er war in der katalanischen Metropole nur Zuschauer. Zwischen dem Doppelweltmeister von 2009 und dem Bundestrainer gehören kleine Triezereien zum guten Ton: So mokiert sich Biedermann gerne mal über Lambertz’ Idee, den üblichen Einbruch deutscher Kachelzähler bei großen internationalen Meisterschaften mit der Einführung eines Überprüfungswettkampfes (Mitte Juli in Essen) zu verhindern. Und der Ober-Coach des DSV spricht dafür schnippisch von Biedermanns „Mini-Comeback“ in Berlin – „auch wenn er das nicht gerne hört.“ Biedermann spricht lieber von einer Pause – auch wenn die mit einer krankheitsbedingten Wettkampfabstinenz von 14 Monaten doch mit zwei Meistertiteln recht stattlich ausfiel.

Wenn der gebürtige Hallenser auf den Startblock tritt, will er nicht bloß mitplanschen. Im wettkampflosen Jahr 2013 kam er deshalb auch ins Grübeln. „Da steckte viel Arbeit und Trainingsaufwand dahinter – und auch Zweifel waren dabei“, gestand Biedermann in Berlin. Denn: „Man fragt sich dann schon: Was machst du hier eigentlich noch?“

Im Moment fragt sich der Wiedereinsteiger vor allem, ob er bei der EM – Ziel des DSV sind 14 bis 19 Medaillen – über 400 Meter Freistil starten soll. „Es ist legitim, wenn ein Paul Biedermann sagt, er tritt nur an, wenn er um die Medaillen mitschwimmen kann“, sagt der Bundestrainer, ehe er ergänzt: „Ich hoffe, dass wir diese Entscheidung in einem gemeinsamen Prozess und für Deutschland fällen können.“ Denn der Strauß guter Vorergebnisse, neben Deibler und Biedermann unter anderem vorgelegt von Dorothea Brandt, Hendrik Feldwehr oder Marco Koch, soll nach der Heim-EM nicht wieder welker Wehmut gewichen sein.

Als Mittel gegen die traditionelle Tristesse hat Paul Biedermann für sich die Demut entdeckt. Der Mittelstreckenspezialist hat die 100 Meter Freistil in sein Programm aufgenommen. „Ich muss mich der Weltspitze anpassen“, kommentiert Biedermann diesen Schritt – „und nicht umgekehrt.“