Und der Anschlag wird nicht kommen

RUHE Mit den Terrorwarnungen steigt meine Bereitschaft, die Bedrohung zu ignorieren. Weil die Angst selbst schon der Terror ist

Wohin führt es, das Unausweichliche antizipieren zu wollen? In die Provinz? In die Nervenklinik?

VON ARNO FRANK

Nein, hier gibt es nichts zu lachen. Das Lachen, meinte eine Kollegin, werde mir noch im Halse stecken bleiben, „wenn der Anschlag kommt“. Gut gebrüllt, Löwin! „Vorausgesetzt natürlich“, konterte ich lachend, „dass mein Hals dann anschlagbedingt nicht längst von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt ist“. Witzig fand sie das nicht, aber witzig war es auch nicht gemeint. Eher als offensive Selbstverteidigung. Lachen kann, gegen vage wie konkrete Bedrohungen, eine ziemlich scharfe Klinge sein.

Dabei glaube ich ganz gut zu wissen, was Angst ist. Auch wenn mich in meinem Leben diese Angst meistens erst nach überstandener Gefahr überfallen hat.

Weil ich 1988 bei der Flugkatastrophe von Ramstein zugegen war, fürchte ich jedwedes Getöse über meinem Kopf. Trotzdem nehme ich inzwischen auch wieder die Bahnunterführung, wenn mir der Umweg zu lange ist. Ich weiß, dass Flugzeuge abstürzen können, weil ich gleich drei davon abstürzen sah, und fliege doch regelmäßig. Im Sommer grille ich nicht gern selbst, weil ich den Geruch von verbranntem Menschenfleisch kenne. Ich mag Steak. Benzin lässt mich kalt, aber wenn ich an Flughäfen Kerosin rieche, läuft es mir manchmal doch noch kalt den Rücken runter. Ramstein war kein Terroranschlag, aber doch ein anonymes Grauen, das aus heiterem Himmel kam und mir seitdem im Nacken sitzt.

Dort sitzen mir auch meine bisher einzigen Erfahrungen mit islamistischen Terroristen, weil diese Terroristen sympathische Gesichter hatten. Im Sommer 1994 war ich in Kaschmir auf Trekkingtour, allein mit Rucksack durch das Liddertal zum Fuß des Kolahoi-Gletschers, als plötzlich, kurz hinter dem Bergdörfchen Pahalgam, sechs fröhliche junge Männer aus dem Wald kamen. Ich kann nicht sagen, dass ich mich über ihre Kalaschnikows erschreckt hätte – bedrohlicher fand ich die finsteren indischen Soldaten, die in der kaschmirischen Hauptstadt Srinagar an jeder Straßenecke stehen. Nein, dieses Grüppchen war heiter, neugierig und freundlich. Wir wanderten ein paar Kilometer gemeinsam, bevor sie sich wieder in die Büsche schlugen. Freimütig schilderten sie mir, diese Gegend sie ihr Revier, hier hätten die Inder nichts verloren. Ob ich nicht mal mit einer Kalaschnikow schießen wolle? Ich fühlte mich auch ohne Geballer wie in einem Abenteuerroman – und lehnte dankend ab. Im Jahr darauf wurde eine Gruppe von Rucksacktouristen, darunter der Deutsche Dirk Hasert, von der Islamistengruppe al-Faran gekidnappt. Hasert ist bis heute verschollen, die geköpfte Leiche einer anderen Geisel wurde 1995 entdeckt. Bei Pahalgam.

Was ich damit sagen will? Ich soll mich wieder fürchten, vor einer Bombe, vor einem Killerkommando, aber ich kann es nicht. Ich hatte mich fahrlässig in Gefahr begeben, ohne darin umgekommen zu sein. Und jetzt soll ich in der U-Bahn mit dem Schlimmsten rechnen? Wie soll ich das Schlimmste erkennen, wenn es doch lächelnd daherkommt oder aus heiterem Himmel? Und wohin führt es, das angeblich Unausweichliche antizipieren zu wollen? In die Provinz? In ein getarntes Erdloch tief im Wald? In die Nervenklinik?

Einerseits ist Paranoia wohl wirklich nur ein anderes Wort für extreme Gewissheit. Andererseits ist die beklemmende Angst vor dem Terror selbst schon – Terror. Das ist es, was ein Usssama will und ein Orwell vorausgesagt hat. Lästiger als die Angst selbst ist die klammheimliche Angstlust, in die wir durch konstante Durchsagen und Warnungen der Behörden getrieben werden sollen. Es wird nichts passieren, was nicht passieren soll. Tja, Fatalismus. Dagegen hilft nur Glühwein oder ein guter Witz – aber besser nicht beim Einchecken am Flughafen, denn das kann wirklich gefährlich werden.