Totales Abtreibungsverbot in der Diskussion

Die rechtsradikale Liga polnischer Familien will die Verfassung ändern. Die Kirche unterstützt die Regierungspartei

WARSCHAU taz ■ „Unser Volk ist von der Kultur des Todes bedroht“, appelliert Erzbischof Józef Michalik in einem Brief des polnischen Episkopats an den Parlamentspräsidenten. „Deshalb muss das Recht auf Leben in der Verfassung klar festgeschrieben werden“, so der katholische Würdenträger weiter.

Polens Bischöfe haben damit zu den Beratungen im Sejm über eine weitere Verschärfung des bereits sehr restriktiven Abtreibungsparagrafen Stellung genommen. Der Klerus unterstützt damit die rechtsradikale Liga polnischer Familien (LPR), eine Koalitionspartnerin der Kaczyński-Zwillinge, die in der Verfassung den Beginn des Lebens mit der Zeugung festschreiben will. „Die Republik Polen gewährleistet jedem Menschen rechtlichen Schutz des Lebens vom Moment der Befruchtung an“, soll künftig Artikel 38 lauten.

Seit 2000 gab es in Polen jährlich knapp 200 legale Abtreibungen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist legal nur noch möglich nach Vergewaltigung und Inzucht sowie wenn Leben von Mutter oder Kind schwer gefährdet sind. Polen gehört damit mit Malta und Irland bereits heute zu den drei restriktivsten Ländern Europas.

Dies geht jedoch der LPR nicht weit genug. Die kleine Rechtsaußenpartei hatte es letzte Woche locker geschafft, das Geschäft als „dringlich“ in die laufende Parlamentssitzung einzubringen. 264 von 366 anwesenden Abgeordneten stimmten dem Antrag zu. Unterstützt wurde sie selbst von Abgeordneten der oppositionellen liberalen Bürgerplattform (PO). Die Behandlung der LPR-Abtreibungsverbotsinitiative eine Woche vor den Lokalwahlen verhilft der Partei zu willkommener Medienpräsenz und gibt ihr die Möglichkeit, sich von der Kaczyński-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) abzuheben.

Wohl vor allem deswegen ist das Projekt im Moment selbst in der PiS umstritten. Sejmpräsident Marek Jurek hat den Brief der Bischöfe begrüßt. Parteichef und Premier Jarosław Kaczyński warnte allerdings am Samstag, eine erneute Verschärfung des Abtreibungsparagrafen könnte das Gegenteil bewirken.

Auch innerhalb der sich als Hüter von katholischer Moral gebärdenden Regierungspartei PiS hat sich herumgesprochen, dass es in Polen jährlich zu tausenden illegalen Abtreibungen kommt. Auch Präsident Lech Kaczyński hatte das geltende Recht von 1993 als sinnvollen Kompromiss bezeichnet. Beide Kaczyńskis hoben jedoch hervor, dass der katholische Glaube natürlich etwas anderes fordere. PAUL FLÜCKIGER