„Das ärgert mich auch“

FUNKTIONEN Der Tetra Pak lässt sich nicht leeren, das Elektrogerät nicht auspacken. Designforscher Rainer Grahn über Produkte, Enttäuschungen und Brotetiketten

Der Wunsch: Dieter Stompe aus Erfurt mailte uns: „Auch die kleinen Dinge im täglichen Leben – vielleicht durch die Mehrheit gar nicht mehr wahrgenommen – bereiten uns Ärger, unterschwellig, kaum spürbar, oder auch völlig unbemerkt. Hier eine Auswahl dieser ‚Ärgernisse‘: Zeitschriften haben fast ausnahmslos eine Macke: Das Inhaltsverzeichnis sucht man vergebens beim Aufschlagen der ersten Seite. Die intelligenteste (oder dümmste?) Information ist – immer wieder gern verwendet – der Aufdruck „NEU“. Auf Kassenbons steht immer auch das Kaufdatum (ist sicher Vorschrift). Man muss es aber suchen, mal oben, mal unten, mal mittendrin (die Position ist offenbar keine Vorschrift).“

Der Weg: Haben auch Sie eine Anregung, über welches Thema wir in der sonntaz berichten sollten? Senden Sie uns eine E-Mail an open@taz.de, oder schicken Sie einen Brief an die tageszeitung, Sebastian Heiser, Rudi-Dutschke-Straße 23, 10969 Berlin.

INTERVIEW SEBASTIAN HEISER

taz: Herr Grahn, ist das Image von Produkten heute wichtiger als die Funktion?

Rainer Grahn: Das kommt darauf an. Beim Brot wohl nicht. Aber bei Produkten, die Outfitcharakter haben, da ist das Image von großer Bedeutung. Denken Sie an die Armbanduhr, die Sie ihrem Patenkind schenken, die braucht nur die Uhrzeit richtig anzuzeigen und das Datum. Aber wer eine Rolex mit Goldarmband kauft, der kann damit zugleich zeigen, für wie toll er sich hält.

Warum backen dann viele Biobäcker trotzdem Papieretiketten ins Brot ein?

Das ärgert mich auch. Man muss das dann ja immer rausschneiden. Vor allem frage ich mich, ob die Farbstoffe, mit denen das Etikett gedruckt wird, astrein sind. Denn was nutzt es, sich ein gesundes Biobrot ohne Pestizide zu kaufen, und dann kommt diese Farbe ins Brot.

Oder Getränkekartons. Da ist die Öffnung nie an der richtigen Stelle angebracht. So sehr man auch schüttelt, der letzte Tropfen Milch kommt nicht raus.

Darf ich einmal fragen, wie alt Sie sind?

Ich bin 31.

Sie sind ja noch ein junger Hecht. Ich bin doppelt so alt wie Sie. Als ich ein kleiner Junge war, gab es das alles noch gar nicht. Da wurde die Milch beim Milchmann lose verkauft und in die mitgebrachte Kanne umgeschüttet. Also manche Dinge sind bereits so weit optimiert, dass das letzte Stück Verbesserung in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand stünde. Allein dass man Milch jetzt lagern kann. Früher gab es nur Frischmilch, und deshalb musste ich als kleiner Junge immer Sauermilchdessert essen.

Was gibt den zentralen Ausschlag dafür, ein Produkt zu wählen?

Das kommt darauf an, was wir erreichen wollen. Wenn ich hungrig bin, dann kaufe ich mir etwas zu essen – Hauptsache, es macht satt. Wenn ich anderen Leuten zeigen will, was für ein toller Hecht ich bin, dann muss ich etwas nehmen, was ein hohes Image verspricht.

Nicht jeder muss aber den tollen Hecht markieren.

Ja, eine junge Familie wird andere Dinge einkaufen als einer, der schon alles hat, weil er seit Jahren eine hoch bezahlte Stelle hat. Das muss aber nicht immer durchgängig konsistent sein. Es gibt durchaus Studenten von mir, die ihre Lebensmittel bei Aldi kaufen, aber dann auf ein sehr teures Apple-Notebook sparen, obwohl sie eine vergleichbare Rechenleistung auch bei einem halb so teuren Gerät bekommen würden. Aber Apple hat es eben geschafft, von seinem „David gegen Goliath“-Image zu profitieren und begehrt zu werden von Leuten, die nicht so sein wollen wie der Mainstream. Da muss man erst mal sehen, wie lange Apple sich noch so aufstellen kann angesichts seines riesigen Markterfolgs mit einem Umsatz von 65 Milliarden Dollar.

Auch billige Elektronikgeräte sind heute in eine so harte Plastikverpackung eingeschweißt, dass man da nur mit einer Schere drankommt. Das ist doch nun wirklich ärgerlich!

Es ist ganz ärgerlich. Aber haben Sie schon einmal überlegt, warum das so ist?

Na?

Es gibt hier zwei widerstreitende Interessen. Saturn oder Mediamarkt wollen nicht, dass man die Verpackung schnell im Laden mal aufmachen kann, um das Gerät an der Kasse vorbei in sein Eigentum zu bringen. Deswegen haben auch kleine Produkte übergroße Verpackungen, die schwer zu öffnen sind. Auf der anderen Seite will ich als Käufer das Ding zu Hause möglichst leicht und einfach aufmachen.

Aber so eine Verpackung war doch früher nicht notwendig.

Ja, wenn Sie etwas im Radiofachhandel gekauft haben, da gab es das Problem nicht. Da wird ihnen das Produkt persönlich über die Ladentheke gereicht. Selbstbedienungsmärkte haben weniger Personal und ein größeres Problem mit Ladendiebstahl und packen daher alles so ein. Aber das ist nicht der einzige Grund. Wenn ich im Supermarkt Käse kaufe, dann will ich sicher sein, dass ich der Erste bin, der ihn aufmacht, und nicht schon vorher mehrere Kunden daran geschnuppert haben. Auch darum muss er fest verpackt sein.

Rainer Grahn, 60, ist Professor für Design an der FH Potsdam