Gabriel droht Europas Regierungschefs

EUROPAWAHL Der SPD-Vorsitzende will unbedingt verhindern, dass die Staatschefs den Kommissionspräsidenten selbst auskungeln. Wer das versuche, zerstöre die Demokratie

BERLIN taz | Sigmar Gabriel gibt sich alle Mühe, jeden Zweifel von vornherein zu ersticken. Die Frage, wer über den neuen Präsidenten der EU-Kommission bestimmt, ist aus Sicht des SPD-Vorsitzenden längst entschieden. „Am Ende wird das Europäische Parlament das letzte Wort haben“, sagt Gabriel am Montag in Berlin. Mehr noch: Er warne jeden davor, den europäischen Wählerwillen zu umgehen. „Wer das nach dem 25. Mai versucht, wird die europäische Demokratie auf lange Zeit zerstören.“

Gleich mehrmals platziert Gabriel mit wuchtigen Worten diese Botschaft. Er sitzt in der Berliner Bundespressekonferenz neben Martin Schulz, dem Spitzenkandidaten der europäischen Sozialdemokraten. Beide erzählen, was passieren soll, wenn Schulz am 25. Mai die Europawahl gewinnt. Bei dieser Wahl gibt es zwei Besonderheiten: Erstmals treten die Parteien mit europaweiten Spitzenkandidaten an. Schulz konkurriert mit Jean-Claude Juncker, Expremierminister Luxemburgs und Spitzenmann der Konservativen. Und erstmals könnte der Wahlsieger Präsident der EU-Kommission werden, also der mächtigste Mann der EU.

Bisher bestimmten die Staats- und Regierungschefs des Europäischen Rats allein über dieses Amt. Der Kandidat wurde in internen Gesprächen ausgehandelt, das Parlament segnete die Entscheidung brav ab. Der seit 2009 geltende Lissabon-Vertrag räumt dem Parlament ein größeres Mitspracherecht ein. Der Rat müsse das Wahlergebnis berücksichtigen, heißt es in dem Papier. Die Mehrheitsverhältnisse der Fraktionen, für die Schulz und Juncker antreten, spielen also eine wichtige Rolle. Die Menschen wären entsetzt, würde dem zuwider gehandelt, glaubt Gabriel. „Dann können wir die nächste Europawahl absagen.“

EVP-Vorsprung schrumpft

Die Sozialdemokraten rechnen sich mit Schulz Chancen aus, in Europa ähnlich stark zu werden wie die Konservativen. Im Moment hat die christdemokratische EVP 274 Mandate von 766 Sitzen im Europaparlament, sie liegt deutlich vor den Sozialdemokraten (195 Sitze). Doch in den Umfragen ist ihr Vorsprung deutlich geschrumpft.

Gabriel will mit seiner klaren Ansage nun jedem Versuch vorbeugen, zu früherer Kungelei zurückzukehren. Seine Botschaft dürfte sich auch an Kanzlerin Angela Merkel richten, die bei früheren Besetzungen im Europäischen Rat ein entscheidendes Wort mitredete. Als ein Reporter fragt, ob bei einer Umgehung des Wählerwillens die Große Koalition gefährdet sei, antwortet Gabriel: Merkel sei klug genug, zu wissen, dass man eine Mehrheit im Parlament brauche.

Vieles spricht dafür, dass nach dem 25. Mai tatsächlich einer der beiden Spitzenkandidaten der größten Fraktionen das Amt bekommt. Denn der Prozess ist zu weit fortgeschritten, als dass seine Logik noch gebrochen werden könnte. Schulz und Juncker wurden auf Parteitagen ihrer europäischen Parteifamilien zu Spitzenkandidaten gewählt, die meisten Regierungschefs haben sich entweder für den einen oder den anderen ausgesprochen. Die Fraktionschefs von EVP, SPE und Liberalen haben sich darauf geeinigt, nur einen Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten zu wählen – und dies in einem Brief Anfang April öffentlich gemacht.

Schulz tut das seine, um den Prozess als Automatismus auszumalen. Er stellt ein Regierungsprogramm vor, fünf Projekte, auf die er nach einem Wahlsieg einen Fokus legen will. Dazu gehören etwa der Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Steuerbetrug in Europa, aber auch eine digitale Zukunftsstrategie. Er bewerbe sich um das Amt, weil er verloren gegangenes Vertrauen der Bürger in die EU zurückgewinnen wolle, sagt Schulz. ULRICH SCHULTE