Der Tod des Herrn Akbaba

Mehr als vier Jahre ist es her, dass der türkische Menschenrechtler und Sozialarbeiter Abdulkadir Akbaba in Bremen erschossen wurde. Die Hinterbliebenen warten – trotz Anklage – noch immer auf einen Prozess gegen die Beschuldigten

VON JAN ZIER

Gut möglich, dass nie irgend jemand für den Tod von Abdulkadir Akbaba verurteilt wird. Und vielleicht kommt auch nie heraus, wer ihn erschoss – Herr C. oder Frau C. Sicher ist nur eines: Einer von beiden war’s. Damals, Pfingstmontag, 2002. Katharina Venzky, die Mutter von Akbabas Tochter, wäre schon froh, wenn der Fall überhaupt einmal vor einem Gericht verhandelt würde. Doch das Verfahren gegen das Ehepaar C. ist bereits im Dezember 2002 eingestellt worden. Begründung: Anhaltspunkte für Fahrlässigkeit oder Vorsatz seien nicht zu erkennen.

Katharina Venzky war schockiert: „Jeder größere Autounfall kommt vor Gericht. Aber wenn jemand an einem Schuss stirbt, will niemand Anklage erheben?“ Bis heute kämpft sie dafür, dass sich das Ehepaar C. verantworten muss. Vergebens, bislang jedenfalls. Immerhin: Mittlerweile existiert eine Anklageschrift, fast eineinhalb Jahre schon liegt sie beim Bremer Landgericht. Ein Prozess ist nicht in Sicht.

Was genau an jenem 20. April 2002 passierte, als Abdulkadir Akbaba starb, dazu kursieren zwei widersprüchliche Geschichten. Die eine erzählt von einem eifersüchtigen Herrn C., der nach Hause kam und dort Herrn Akbaba mit seiner Frau vorfand. Wutentbrannt griff er sich die Pistole aus der Schublade und erschoss den vermeintlichen Nebenbuhler kurzerhand. Das ist die Geschichte, wie sie Frau C. verbreitet.

In der anderen Version gibt es ein winziges Badezimmer. Und eine Frau C., die ihrem Mann die Pistole an die Schläfe hält. Er greift danach, ein Schuss löst sich. Akbaba geht zu Boden, Herr C. entreißt seiner Gattin die Waffe, schießt ihr ins Schlüsselbein. Anschließend geht er zur Polizei. Das ist die Geschichte, wie Herr C. sie erzählt.

Die Staatsanwaltschaft glaubt eher ihm als ihr. „Die Kugel war ein Abpraller. Sie war nicht für den Verstorbenen bestimmt“, sagte schon vor Jahren, ein Staatsanwalt. So steht es auch in der Anklage: Herr C. habe versucht, einen Menschen zu töten, ohne Mörder zu sein. Auch Frau C. soll dran kommen, weil sie ihren Mann bedroht habe.

Es wäre nicht das erste Mal – immer wieder ist sie mit Messern, Korkenzieher oder Eisenstangen auf ihn losgegangen. Mittlerweile leben die beiden getrennt. Ein Psychiater aus dem Krankenhaus Bremen-Ost hat Frau C. „paranoide Schizophrenie“ attestiert. Das ist wohl auch der Grund, wieso ihre Version der Tat als weniger glaubwürdig gilt. Indes hat derselbe Psychiater auch Herrn C. eine psychische Störung attestiert. Die Tat diagnostizierte er als eine „depressive Belastungsreaktion“. Für beide Eheleute muss man deshalb wohl von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgehen. Dass sie verurteilt werden, ist eher unwahrscheinlich.

Damit kann Katharina Venzky noch leben. Ihr Problem ist ein anderes: Beide Beschuldigten laufen nach wie vor frei herum – obwohl zumindest Frau C. von besagtem Psychiater als „fremdgefährdend“ eingestuft wird. Auch von einer Inhaftierung war nie die Rede. Venzky, selbst Allgemeinärztin, fordert zumindest eine stationäre Unterbringung für die Frau.

Dass „Kadir“, wie ihn seine Freunde nannten, an jenem 20. April vor vier Jahren überhaupt vor Ort war, liegt an seinem Job: Er war Sozialarbeiter bei der Bremer Arbeiterwohlfahrt (AWO). Er betreute ältere MigrantInnen, darunter das Ehepaar C., das aus der Türkei stammt. So wie Akbaba selbst. „Er starb in Ausübung seiner Pflicht“, würde man bei einem Soldaten vielleicht sagen. Die AWO sieht das anders: Schließlich passierte der Vorfall an einem Pfingstmontag. Mit anderen Worten: nicht an einem Werktag. Und deshalb will die AWO bis heute keine Halbwaisenrente für Kadirs mittlerweile achtjährige Tochter zahlen. Honorarkräfte wie er hätten grundsätzlich die Weisung, keine Hausbesuche zu machen, sagt die AWO. Schon gar nicht an einem Feiertag.

Vielleicht gereicht dem damals 43-Jährigen zum Nachteil, dass er sich als Menschenrechtler für die Sache der Kurden engagierte. Kadir gehörte zu den GründerInnen des Internationalen Menschenrechtsvereins in Bremen, hat immer wieder für seine Überzeugung in türkischen Gefängnissen gesessen. Bis ihm die Bundesrepublik Asyl gewährte. Kadir habe seine Kompetenzen überschritten, bekam Katharina Venzky zu hören, und sich weit über seine Pflicht hinaus um seine KlientInnen gekümmert. Worte, die sich normalerweise in einer Laudatio wieder finden.

Im kommenden Jahr, hofft Venzky, wird all das noch mal zur Sprache kommen. Wenn der Prozess – ursprünglich für diesen Herbst terminiert – stattfindet. Schuld an der neuerlichen Verzögerung sind die zwei so genannten „Diskomeilenverfahren“: Da geht es um eine Schießerei im Türsteher-Milieu.

Genau diese beiden Prozesse konnten nicht warten, im Gegensatz zu jenem gegen das Ehepaar C. Weil die Beschuldigten im einen Fall in Haft sitzen, im anderen nicht. Im einen Fall muss also spätestens nach sechs Monaten angeklagt werden – im anderen nicht. Wären Herr und Frau C. inhaftiert, hätte auch gegen sie „schon lange verhandelt werden müssen“, sagt Rechtsanwalt Albert Timmer, der Venzky vertritt. Dass dem nicht so ist, kommt dem Gericht sehr gelegen, behaupten böse Zungen. Timmer findet das alles „sehr ärgerlich“. Und geht davon aus, das der Tod des Herrn Akbaba „ungesühnt“ bleiben wird.