Nur noch das Fließen zählt

Pionier der Videokunst: Der NBK zeigt Arbeiten des diesjährigen Hannah-Höch-Preisträgers Ira Schneider

1968, zum Beispiel: Ira Schneider arbeitet an einer Collage über das Albernsein, „I’d rather be half right than Vice President“. Er „trifft Jimi Hendrix, macht Foto- und Filmaufnahmen von ihm, ebenso wie Aufnahmen von Janis Joplin, Sly, den Chambers Brothers und Electric Flag“. So steht es im Katalog, der die Ausstellung „Mysteries in Reality“ im Neuen Berliner Kunstverein begleitet – in der „Timeline“, die Ira Schneiders Begegnungen, Reisen, Werke und Ausstellungen Jahr für Jahr auflistet. Das ist mehr als die übliche Künstlerbiografie, sondern schon ein Hinweis darauf, wie Ira Schneiders Werk gelesen werden will: als ein Dokument der Teilhabe, einer langen kontinuierlichen Zeitgenossenschaft. In der Ausstellung läuft ein fünf Minuten kurzes Video von einem Konzert von Janis Joplin, ein ungeheurer Kraftakt am Mikrofon, der heute mehr von Anspannung und Anstrengung erzählt als von Musik.

Ein anderes Tape stammt von 1978: „A weekend at the beach (with Jean-Luc Godard, Heiner Müller, Wim Wenders, Ira Schneider u. a.)“ zeigt genau, was der Titel verspricht und unterläuft doch in großer Beiläufigkeit alles, was etwa an glamourösen Erwartungen durch dieses Namedropping erzeugt wird. Denn nicht anders als Namenlose verhalten sich die Künstler am Strand, dösen oder laufen ins Wasser. Schneiders Werk ist eines der ausfallenden Höhepunkte mit Ansage; einer kalkulierten Verweigerung all der Formen von Narration und Inszenierung, die die Medien Film und Fernsehen in öffentlicher und kommerzieller Hand kennzeichnen.

Ira Schneider, 1939 in Manhattan geboren, gehört zu den Pionieren der Videokunst. 1993 kam er mit einem Fulbright-Stipendium nach Berlin, weil das Leben in der wiedervereinigten Stadt ihm jetzt der Ort schien, wo große Veränderungen zu spüren waren. Er ist geblieben seitdem und erhielt in diesem Jahr für sein Lebenswerk den Hannah-Höch-Preis, der von der Senatsverwaltung für Kultur vergeben wird.

In der Präsentation von Videokunst taucht oft das Problem auf, dass sie im Lauf der Geschichte in ihrem materiellen Bestand von neueren Techniken und in der Rezeption von anderen Mediengewohnheiten überholt worden ist. Man begreift zwar mit dem Verstand, was an ihr Modellen von Gegenkultur zuarbeitete, aber als ästhetisches Erlebnis funktioniert sie kaum noch. Die Ausstellung im NBK begegnet dem geschickt, indem nur eine Installation von 1975, „Echo“, aufgebaut ist, in der der Betrachter mit seinem eigenen zeitverzögerten und gespiegelten Bild spielen kann. Andere Installationen dagegen werden mit einfacheren Mitteln nacherzählt, in einer Kinobox, in Fotografien, auf einer Website.

Ein großer Ausstellungsraum aber gehört den fotografischen Arbeiten, die teils erst in Schneiders Berliner Zeit entstanden sind, dabei aber auch früheres Bildmaterial miteinbeziehen. So folgen auch sie der Idee, ein Leben lang einen Bildspeicher aufzubauen, der sich immer wieder neu bearbeiten lässt. Es ist ein mildes und sehr auf Schönheit fixiertes Alterswerk. Naturaufnahmen, die der Abstraktion zustreben, verspannen geografische und jahreszeitliche Räume. Eine Serie gilt den großen farbigen Flächen von Bauplanen, sozusagen gefundenen Abstraktionen. Einer gesteigerten Lust an der Farbe folgen auch die Wasserbilder, die in ihrer digitalen Bearbeitung etwas sehr Malerisches erhalten. Der Detailreichtum, der frühere Arbeiten Schneiders ausmachte, ist in ihnen davongeflossen, und nur noch die Fließbewegung zählt.

KATRIN BETTINA MÜLLER

Ira Schneider, Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128/129, Di.–Fr. 12–18 Uhr, Sa. und So. 14–18 Uhr, bis 17. Dezember