aus der mensa: drall, doof und brutal von HARALD KELLER
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Geierschnabels Augenbrauen hängen tief an diesem Mensatag, die Stirn zeigt steile Falten. Ausweis seiner Besorgnis, die sich der Zeitungslektüre verdankt. Die Gazette enthielt eine Botschaft Ursula von der Leyens: „Wir wissen heute, dass Fernsehen dick, dumm, traurig und gewalttätig macht.“ Für Geierschnabel eine Erkenntnis von enormer Brisanz, denn er hängt seit frühester Jugend am Apparat. Eigentlich hat er sogar nur deshalb laufen gelernt, weil es seinerzeit noch keine Fernbedienungen gab.

„Humbug“, tönt dagegen der lebhafte Droll. „Guck mal in den Spiegel: zehn Kilo Untergewicht, akademischer Grad, ständig schlechte Witze auf den Lippen. Und hast du nicht den Kriegsdienst verweigert?“ Geierschnabel nickt betrübt. „Doch. Was aber, wenn Spätwirkungen eintreten? Plötzlich werde ich drall und prall und laufe in der Mensa Amok.“

„Wenn die Köche nochmal so einen muffigen Fisch auftischen wie diesen, dann laufe ich mit“, verspricht Strunk. „Meiner ist gar nicht so schlecht“, meldet Klumpe. „Für mich stellt sich eher die Grätchenfrage“, sagt er und zieht zartes Fischbein aus seinem Zahngehege.

„Darauf ein Metchen“, reimt Notthoff und hebt sein Glas. Er war am Vortag im neu gestalteten Stadtbad und hat also etwas zu berichten. Gut gefallen haben ihm die Rutsche und die Wasserspiele. „Wasserspiele?“, plärrt Wabble auch schon los. „Mit Natursekt?“ Geierschnabel gluckst. „Im Kinderbecken immer.“

Droll steigt ein. „Im Kinderbecken kannst du Häute gerben.“ „Und gerb ich nicht Häute, gerb ich morgen“, nassauert, pardon, kalauert Geierschnabel. Notthoff bringt noch an, dass er in der Badeanstalt wie überhaupt in vielen öffentlichen Stätten meist auf die Behindertentoilette geht, weil es dort am saubersten ist.

„Ist das eine Unisex-Toilette?“, will Babs wissen. „Unisex hatte ich nie“, beklagt Wabble traurig. „Während des ganzen Studiums nicht.“ – „Kann ja noch werden“, tröstet Strunk. „Es gibt ja auch sehr schöne Angebote in den Seniorenstudiengängen.“

Plötzlich ruckt Geierschnabel hoch und wirft einen abschätzenden Blick auf Wabble. „Ha!“, ruft er und bekommt ein vielstimmiges „Was?“ zur Antwort. „Die von der Leyen hat sich im Medium vertan“, vermeldet er froh. „Inwiefern?“, fragt Droll. „Sieh dir doch Wabble an: Guckt nie Fernsehen, sitzt aber ständig im Kino rum. Was sehen wir: Einen dicken, dummen, traurigen Mann. Und hast du ihn mal Basketball spielen sehen? Da schreit die Mordlust aus seinen Augen.“

Kurzes Nachdenken, dann gibt der Kreis ihm Recht. Allein Klumpe, auch er ein korpulenter Cinematosaurier, möchte sich seine Liebhaberei nicht schlechtreden lassen. Wenngleich, schnell nutzt er die Gelegenheit, um zu dozieren: Er habe gerade einen öden Film gesehen mit Jack Black, den er sowieso nicht sonderlich schätze. Droll hatte am selben Film sehr viel Spaß und platzt heraus: „Aber wenn der Mann Jacques Noir hieße und in einem französischen Laberfilm mitspielen würde, dann wärest du sein eifrigster Verfechter“, echauffiert er sich. Klumpe kämpft, kann sich aber ein Schmunzeln nicht verbeißen.

„Nachtisch?“, fragt Notthoff. „Nachtisch!“, skandiert die noch nicht ganz satte Runde.