Die Aasgeier kreisen

Heute entscheidet der Verwaltungsrat über das weitere Vorgehen bei der hoch defizitären „Libération“

PARIS taz ■ Um nichts weniger als die Zukunft der Pariser Tageszeitung Libération geht es bei der heutigen Verwaltungsratssitzung. Zusammen mit der zweiköpfigen Interimsführung durch Vittorio de Filippis und Philippe Clerget hatte der Hauptaktionär Edouard de Rothschild ursprünglich einen drastischen Abbau um 100 Stellen von derzeit insgesamt 280 verlangt. Unklar ist, ob diese von der Redaktion als zu einschneidend abgelehnte Sanierung beim heutigen Treffen des Verwaltungsrates noch als Diskussionsgrundlage dient. Bereits verworfen hat Rothschild aber den alternativen Vorschlag des früheren Le-Monde-Chefredakteurs Edwy Plenel, der ohne Personalverminderung in der Redaktion eine klarer links orientierte Tageszeitung produzieren wollte und dabei ziemlich optimistisch von einem Leserzuwachs für die Zeitung und die Web-Seite ausging.

In einer Kolumne in „seiner“ Zeitung beteuerte Rothschild, er glaube an die Zukunft von Libération, und er wolle „mit diesem talentierten Team vertrauensvoll zusammenarbeiten“. Der Spross der bekannten Pariser Bankiersfamilie hält seit 2005 38 Prozent des Libé-Kapitals. Bevor er jedoch weiteres Kapital investiere, erwarte er, dass dieses Vertrauen gegenseitig sei: Die Beschäftigten müssten seine Bedingungen akzeptieren.

Die Zeitungsmacher sind in Alarmbereitschaft. Sie mobilisierten die LeserInnen, von denen sich bisher rund 3.500 mit finanziellen Beiträgen einer Gesellschaft angeschlossen haben, die zusammen mit den Personalvertretern – die 18 Prozent des Kapitals kontrollieren – über die Unabhängigkeit der Publikation wachen soll. Der Adrenalinspiegel stieg für die MitarbeiterInnen zwischendurch auf einen Höchststand, als im Konkurrenzblatt Le Figaro der Pariser Drucker Riccobono damit drohte, er drucke die Libé nicht mehr, falls offene Rechnungen nicht beglichen würden. Unter der Hand einigte man sich dann doch – auch im Interesse der Druckerei, deren Einnahmen zu fast zwei Dritteln aus der Produktion der Tageszeitung stammen.

Mit rund 13 Millionen Euro Defizit in diesem Jahr macht die einst von Jean-Paul Sartre 1973 gegründete Zeitung jeden Monat rund eine Million Defizit. Das ist enorm für eine Zeitung mit einer bezahlten Auflage von knapp 140.000 pro Tag. Die finanzielle Krise bei Libération lockt bereits die Aasgeier auf den Plan. So ließ der Herausgeber des Wochenmagazins Marianne, Jean-François Kahn, verlauten, er würde gegebenenfalls eine „unabhängige, demokratische und völlig andere Tageszeitung“ herausbringen, falls Libération eingehe – was er ihr selbstverständlich nicht wünsche. Noch steht die Libé schließlich für die kommenden fünf Monate unter Gläubigerschutz. RUDOLF BALMER