NIEMAND HAT ÜBER DIE FRAUEN ZU URTEILEN, DIE IHRE KINDER IN EINE BABY-KLAPPE GEBEN, SCHON WEIL SICH DIE WENIGSTEN EINE VORSTELLUNG VON DEM ELEND MACHEN, DAS DAHINTER STECKT
: Ein Minimum an Recht und Hoffnung

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

In Niedersachsen sind in diesen Tagen die ersten Beratungsstellen für die vertrauliche Geburt eröffnet worden. Entscheidet sich eine Mutter dafür, muss sie bei einem Beratungstermin ihre Daten in einem geschlossenem Umschlag hinterlegen für später, wenn das Kind sechzehn wird, damit dem Kind ein Persönlichkeitsrecht gewährt werden kann, nämlich das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Das ist eine gute Sache, aber die Leute empören sich und werden ganz emotional, wie immer, wenn es um Mütter und Babys geht.

Eine Mutter ist nicht die, die so empfindet, eine Mutter ist die, die zufällig ein Kind bekommt, ob sie das wollte oder nicht. Aber die, die ungewollt ein Kind bekommt, ist genauso zur Mütterlichkeit verurteilt wie die, die sich das wünschte und plötzlich gar nicht mehr so fühlt. In Deutschland gibt es viele Menschen, die sich ein Kind wünschen, die väterlich fühlen, die mütterlich fühlen und denen die Natur ein Kind nicht ermöglicht. Die Adoption ermöglicht es ihnen schon. Sind dann diese Menschen, die sich gegen ihre „natürliche“ Zeugungsunfähigkeit auflehnen, auch zu verurteilen, wie die Frau, die ihre Mutterrolle nicht annimmt?

Ich habe selber Kinder, ich liebe sie und es ist, in diesem Sinne, also alles glatt gegangen. Aber ich bin ein Mensch, der verhältnismäßig sanft ins Leben gebettet worden ist, ich bin weder gefoltert noch verschleppt gewesen, ich musste niemals aus meiner Heimat fliehen und meine Verwandten sind nicht im Krieg umgekommen, ich habe noch nie Todesangst ausstehen müssen, ich bin nicht von meinem Onkel vergewaltigt worden, meine Eltern haben mich nicht geschlagen und mich auch sonst nicht verwahrlosen lassen. Ich bin im Großen und Ganzen ein unversehrtes Stück Mensch.

Aber weiß ich, was mit der Frau ist, die ihr Kind in die Babyklappe steckt? Weiß ich nicht, will ich vielleicht auch nicht wissen, mich fasst das alles an, das ganze verfluchte Elend. Eine Geburt ist ein emotionales Drama, ist ein unglaublicher Wahnsinn, und wenn eine Frau ihr Baby nach so einer Sache dann irgendwo hinträgt, wo es immerhin sicher ist, dann hat sie was Gutes getan. Dann hat kein Mensch auf der Welt darüber zu urteilen.

Die Hebammen, die Kinder anonym zur Welt bringen, die Menschen, die sich um die Babyklappen kümmern, argumentieren immer anders als die, die damit nichts zu tun haben. Sie sehen eine Art von Realität, die sich nicht einfügt in die Vorschriften, eine Realität, die sich nicht befriedigend gesetzlich regeln lässt, weil sie so komplex ist.

Und sie stellen sich auf die Seite der Frauen und der Babys. Sie sagen, dass es für ein Baby erst mal wichtig ist, zu leben, dass es ärztliche Versorgung und eine Chance auf ein Gewolltsein, etwa in einer Adoptivfamilie, bekommt. Das Recht auf die Kenntnis seiner Mutter erscheint ihnen vielleicht in diesen Stunden der ersten Hilfe sekundär.

Entscheiden sich jetzt mehr Mütter für die vertrauliche als für die anonyme Geburt, so wäre das ein Fortschritt. Immerhin wird der Faden zum eigenen Kind nicht ganz durchtrennt, immerhin bleibt eine winzige Hoffnung. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Helfer bei den anonymen Geburten kriminalisiert werden – oder dass die Babyklappen abgeschafft werden. Die vertrauliche Geburt sollte als Bereicherung gesehen werden, für die Kinder, die dort geboren werden und andere Möglichkeiten haben, mit ihrer Vergangenheit umzugehen und für die Mütter, die ihnen immerhin dieses Minimum an Recht mit auf den Weg geben können. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen