Vorbereiten auf den nächsten Castor

Die diesjährige Anti-Atommüll-Festspiele im Wendland beginnen am kommenden Wochenende mit der traditionellen Trecker-Parade. 10.000 Polizisten werden den zehnten Transport nach Gorleben mit 12 Castor-Behältern bewachen

VON KARIN RIDEGH

Werner Rieck ist ein ruhiger, friedlicher Typ. Er arbeitet hart: Weizen drillen, Äcker pflügen, melken und jetzt im Herbst die Kühe von der Weide holen. Nur einmal im Jahr gerät der Bauer aus dem idyllischen Rundlingsdorf Luckau im Kreis Lüchow-Dannenberg in Aufruhr – wenn der Atommülltransport aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in das nahe Zwischenlager Gorleben rollen soll. Dann setzt er sich auf seinen Traktor und protestiert.

Hunderte von Landwirten, die ohne Gorleben wohl kaum jemals demonstriert hätten, haben sich im Wendland zur „Bäuerlichen Notgemeinschaft“ zusammengeschlossen. „Es ist eine echte Notgemeinschaft. Sie kämpfen um ihre Existenz“, sagt Susanne Kamien. „Die Bauern gehen ein großes Risiko ein. Es hat Verurteilungen zu Geldstrafen gegeben. 10 Monate musste ein Bauer auf seinen Führerschein verzichten, und Trecker wurden beschlagnahmt“, weiß die Koordinatorin des Widerstands.

Doch das schreckt Werner Rieck nicht ab: „So wie wir alle paar Jahre wählen gehen und wissen, dass man mit seiner Stimme sehr wenig ausrichtet, so gehen wir hier auf die Straße, wenn der Castor kommt. Ich will wenigstens Aufmerksamkeit erwecken.“ Vor fast 30 Jahren malte er auf sein erstes Transparent: Als Agronom bin ich gegen Atom. „Wir machten uns Gedanken, ob wir überhaupt noch Kinder in die Welt setzen können.“ Drei wurden es, die mit den Protestaktionen groß geworden sind. Das prägt. „Alle sind auf Kundgebungen Traktor gefahren. Der Protest hat ihr politisches Interesse geweckt“, sagt der Vater. Ob nach Berlin, Lüneburg oder Hannover – keine Trecker-Demo ließ die Familie aus, und während der „Castor-Tage“ wird die Volksküche mit Lebensmitteln unterstützt. Mehrfach ist Rieck bei Protesten eingekesselt worden. Auf seinem Traktor sitzend, erlebte er, wie Beamte unter ihm die Reifen zerstachen. „Wenn’s zu hart wird, ziehe ich mich jetzt zurück, weil die Emotionen zu hoch kochen“, sagt er.

Tochter Annemarie riskiert dafür umso mehr. Über neun Stunden kniete die 22-Jährige vor zwei Jahren angekettet zwischen einem Trecker und einem Betonklotz auf der Straße, bis ihre Situation lebensbedrohlich wurde. „Es war ein gutes Gefühl. Das Schöne bei der Bäuerlichen Notgemeinschaft ist, dass jeder auf jeden aufpasst.“ Die Anti-Atom-Bewegung sensibilisierte die Riecks. Der Bauer stellte auf Biolandbetrieb um.

Während Luckau 20 Kilometer von Gorleben entfernt liegt, hat Familie Webs die Transportstrecke der Castoren in Quickborn fast vor der Haustür. Existenzangst und die Sorge um ihre Kinder hat die Großfamilie zusammengeschweißt. „Im Falle eines Falles sind unsere Höfe wertlos. Niemand würde noch unsere Produkte kaufen“, sagt Gisela Webs. Deshalb sind alle vier auf dem Hof lebenden Generationen beim Protest dabei. „Sogar meine 83-jährige Mutter steht die ganze Nacht in der Teeküche.“ dpa