WOLLTEN SIE SCHON IMMER MAL WISSEN, WAS IHRE LEHRER WIRKLICH VON IHNEN HALTEN?
: Allein unter Oberstudienrätinnen

MARTIN REICHERT

Wer weiß schon ausschließlich Gutes über seine Lehrerinnen und Lehrer zu berichten? In der Regel sind es solche Leute, die bereits ein gewisses Lebensalter erreicht haben und daher mit rosa gefärbten Brillengläsern auf ihre Jugend zurückblicken. Oh Bildungsreform-Gymnasium, du Friedhof meiner Jugend! Aber auch dort wachsen ja Blumen.

Im nachhinein sympathisch erscheinen mir vor allem solche Lehrer, die ab und an den Talar ihrer pädagogischen Autorität lupften. Und sei es nur, um sich mal hemmungslos einen hinter die Binde zu kippen. So erinnere ich mich mit warmem Herzen an die bei einer abendlichen Zusammenkunft schon leicht gelallten Worte einer aparten Geschichtslehrerin: „Sie haben ja alle keine Ahnung, was Verantwortung ist – und SIE, Martin, SIE verdammtnochmaldreimalnisch.“

Nun begab es sich neulich, dass ich an einem Tisch saß mit exakt sechs angeheiterten Oberstudienrätinnen, die ihren Talar gerade an die Dienstbehörde zurückgegeben hatten, sprich: sich in den Ruhestand verabschiedet hatten. Allesamt Frauen der gehobenen Gewänder-Liga, also solche Damen, die bevorzugt wallende Leinen-Kleider tragen, verziert mit allerlei großformatigem Schmuck, der ihnen während ihrer Laufbahn als Abwehrzauber gegen bohrende, aufsässige Schülerblicke gedient hatte. „Heutzutage geht unsereins ja gerne mal im Bereich Kunst & Kultur die Kleider lüften“, gackerte die Gastgeberin – und genau dort, in Theatern und Galerien, trifft man diese Mitmenschen für gewöhnlich.

Nun aber saßen wir in einem Villengarten, am helllichten Nachmittag. Alles blühte. Die Vögel sangen und die Champagnerkorken knallten. Ich am Tisch der anderen Seite – quasi im Lehrerzimmer – und Sätze hörend, die man als Schüler lieber nicht hören will. Zum Beispiel Bekenntnisse wie diese: „Ich mag Kinder nicht. Ich habe sie nie gemocht.“

Soll man das wirklich glauben? Oder sind solche Aussagen nur die Abluft von vierzig Jahren Frontalunterricht. Schlecht gelüftete oder überheizte Räume. Knirschender Kreidestaub. Rotstift-Flecken an den Fingern. Sitzt meine Deutschlehrerin gerade in ihrem Garten, Likör in sich hineinschüttend, und blickt zurück im Zorn? Denkt mit Abscheu an Horden pickliger Eleven, die es zu beschulen galt?

Es ist, als ob man während einer mehrstündigen OP plötzlich aufwachte und den Chirurgen, Anästhesisten und Krankenschwestern bei ihren Lästereien über den nackt auf dem Tisch liegenden Patienten, sich selbst, zuhören könnte.

Die Oberstudienrätinnen waren jedenfalls gut in Fahrt, und dem ein oder anderen Exschüler dürfte es an diesem Nachmittag in den Ohren geklingelt haben, „hübsch, aber leider dumm“.

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Während der Heimfahrt erinnerte ich mich dann an einen Abend mit Kollegen, alles Journalisten. Nach Feierabend wurde recht zynisch das tragische Weltgeschehen durchgehechelt, entlastungshalber –, bis eine Dame vom Nebentisch erzürnt sich erhob und rief: „Sie müssen wohl allesamt sehr schlechte Menschen sein!“

Menschen, ja.