carl davis
: Der Sinfoniker des Kinos

Eine orchestrale Filmvorführung – das scheint ein Widerspruch in sich. Dabei gab es in der Frühzeit des Kinos oft Orchestergräben vor den Leinwänden, wurde die Stummheit der Bilder durch aufgeführte Musik überspielt. Um den Beigeschmack der Jahrmarktsattraktion loszuwerden, wurde dabei auch sinfonisch geklotzt. Zum Leben erweckte diese Tradition der Regisseur Francis Ford Coppola, als er in den frühen 1980er Jahren den monumentalen „Napoléon“ von Abel Glance wieder aufführen ließ. Mit verantwortlich für den Erfolg war die Filmmusik, in der ein britischer Kritiker damals voller Begeisterung „Peitschenhiebe von Beethoven“ gehört zu haben glaubte. Neu komponiert hatte sie Carl Davis.

Der in Brooklyn, New York, geborene Wahlbrite hat zwar auch Balletts, Musicals und ein Oratorium geschrieben, berühmt wurde er aber für seine Neuvertonungen von Stummfilmen: Die klingen stets, als kämen sie aus der Entstehungszeit der Filme, aber eben auch inspiriert und frisch. Inzwischen hat der soeben 70 Jahre alt gewordene Davis die meisten Klassiker der Stummfilmzeit neu vertont und für zahlreiche Dokumentationen komponiert. Und wann immer in einem britischen Film eine historische Ära auch durch den Soundtrack heraufbeschworen werden sollte, erwies Davis sich als der richtige Mann. Etwa in der Adaption von Kafkas „Prozess“ mit Anthony Hopkins, dem postmodernen Historienfilm „Die Geliebte des französischen Leutnants“ oder in „Topsy & Turvy“, Mike Leighs wunderbarem Porträt der viktorianischen Theaterautoren Gilbert & Sullivan, das nie in die deutschen Kinos kam.

Jetzt sind diese Filme in Braunschweig zu sehen, wo das 20. internationale Filmfest eine umfangreiche Werkschau zeigt. Morgen Abend wird Davis selbst ein Ensemble des Staatsorchesters Braunschweig für seine Vertonungen von vier Kurzfilmen Charlie Chaplins dirigieren. Am Freitag tritt dann das 70-köpfige Orchester geschlossen an, um ebenfalls unter Davis’ Leitung das frühe Hollywoodspektakel „Der Dieb von Bagdad“ mit Douglas Fairbanks zu begleiten. Da heben die Adagios ab wie fliegende Teppiche. WILFRIED HIPPEN