künstler bei der arbeit von FRANK SCHÄFER
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Der Anstreicher hatte das Gebäude verlassen. Er war fertig, und ich war’s auch. Warme Worte sprach er zum Abschied: „Hat jetzt doch ’n bisschen länger jedauert, aber soll ja ordentlich werden …“ Und soll deine Familie auf Wochen ernähren, dachte ich bei mir. „Brot kann, Wurst muss!“, wie es in diesen Kreisen heißt.

Ich musste mich erst mal sammeln. Vier Tage – für ein Treppenhaus. Das nächste Mal hole ich mir wieder einen Polen! Dabei fing alles sehr harmonisch an. Der Maler klingelte mich eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Termin vom Klo. „Sooo“, sagte er mit einem gewinnenden Lächeln, als er Leitern, Farbeimer, Rollen und Teleskopstangen hereingewuchtet hatte, „jetzt machenwa erstmal das, was ich am besten kann.“ – „Aha!?“ Er sah mich durchdringend an, als müsste ich schon selber drauf kommen. Kam ich aber nicht. „Kaffee trinken!“, dröhnte er so vernehmlich, dass selbst unser Bonsai-Hausflur, der für so was nicht gemacht ist, ein beifälliges Echo spendierte. Ich war schier überrumpelt und lud ihn also auf eine Tasse in die Küche.

Nachdem er mich eine gute Viertelstunde vollgequanzt hatte – von „seiner Lady“, der er unbedingt ein drittes Kind machen wolle, und wie er das bitteschön bezahlen solle bei der „verschissenen Konjunkturlage“, da müsse er ja „doof“ sein, und ob ich glaube, das er „doof“ sei –, fing er doch noch an. Ich zog mich ins Arbeitszimmer zurück und lehnte die Tür nur an, um gleich zur Stelle zu sein, wenn er wieder was zu melden hätte.

Aber es blieb still. Stunden vergingen, in denen er wortlos-fleißig die Wände weiß kullerte, und ich wollte schon beinahe vergessen, dass ein Fremdling im Haus war, als seine Donnergötterstimme plötzlich machtvoll in den Alkoven drang: „Du bist der Geilste!“ Ich lauschte aufmerksam, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre, er war ja nicht zu überhören, indes es blieb bei dieser einen Verbaleruption. Dann aber, eine Stunde später, grollte es erneut aus dem Treppenhaus: „Das wird die Visitenkarte des Hauses, das kann ich dir aber sagen …“ Er schien auch diesmal keine Antwort zu erwarten.

Gegen Ende des Vormittags bekam ich Hunger, wie eigentlich jeden Tag. Ich wollte eine Kleinigkeit essen gehen und anschließend ein paar Besorgungen machen. Das erklärte ich ihm, er nickte stumm streichend. Hoch motiviert. Ich hatte alsdann das Haus kaum verlassen, da traf mich ein weiterer labialer Böller voll von hinten. „Gibt’s eigentlich diese eine Sendung noch? ‚Hundert Meisterwerke‘, glaube ich, hieß die …“

Nach Hause gekommen, verzog ich mich wieder in mein Geviert, lehnte die Tür an und musste diesmal auch nicht lange warten. Allerdings verloren seine Grölbotschaften plötzlich ihren positiven Nebensinn. „Deckt ja gar nicht der Scheiß … Das kommt davon, wenn du bei Brillux einkaufst.“ Und so ging das fort und fort. „Da musste noch zweimal rüber, mindestens!“, hieß es tags darauf. Und wieder 24 Stunden später posaunte es bei gleichbleibendem Ausschlag des Pegels, aber durchaus zunehmendem Defätismus: „In der Zeit streiche ich dir’n Parkhaus, Alter, aber innen und außen …“

Und exakt so lange brauchte er dann auch. Innen und außen!