Die Regelanfrage soll bestehen bleiben

Kurz vor Torschluss verschiebt der Bundestag den Beschluss über das Stasiunterlagen-Gesetz. Es geht um den Knackpunkt des Vergangenheits-Checks: Abgeordnete und Funktionsträger sollen weiterhin obligatorisch auf Stasikontakte geprüft werden

VON DANIEL SCHULZ
UND CHRISTIAN FÜLLER

Die Bürgerrechtler atmeten parteiübergreifend auf. Als gestern klar wurde, dass nun doch mehr Zeit vorhanden ist, das am 20. Dezember in wichtigen Teilen auslaufende Stasiunterlagen-Gesetz zu beraten. „Es ist gut, sich Zeit zu nehmen, um das noch einmal in Ruhe durchdenken zu können“, sagte etwa Werner Schulz von den Bündnisgrünen und DDR-Bürgerrechtler.

Schulz bezieht sich auf den heikelsten Punkt der Stasiunterlagen-Novelle, nach der die Regelanfrage von Abgeordneten und öffentlichen Funktionsträgern einer abgespeckten Variante Platz machen sollte. Schon an diesem Freitag wollten SPD, Union und Grüne im Bundestag das Stasigesetz erneuern. Anfang der Woche war es aber zu Irritationen gekommen. Da hatte es nämlich eine neue Information aus dem Bundesjustizministerium gegeben. Danach sei es durchaus mit dem Grundgesetz vereinbar, dass die Regelanfrage nicht endet, sondern um fünf Jahre verlängert wird. Das hat insbesondere die CDU zum Umdenken bewogen.

„Wenn wir jetzt nichts machen, dann ist die Regelanfrage am 21. Dezember Geschichte“, sagte auch der CDU-Abgeordnete Arnold Vaatz der taz. „Ich halte es aber für unumgänglich, weiterhin fragen zu können, ob jemand Mitarbeiter der Staatssicherheit war – wenn er eine wichtige Funktion einnimmt.“

Die Neufassung des Gesetzes war notwendig geworden, weil die sogenannte Regelanfrage, also die Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, am Jahresende ausläuft. So hatte es der Bundestag vor 15 Jahren beschlossen. Der jetzt suspendierte Gesetzentwurf sah den Stasi-Check bei Regierungsmitgliedern, Parlamentariern, hohen Beamten und Berufsrichtern nur dann vor, wenn ein Verdacht auf eine frühere Tätigkeit für die Staatssicherheit der DDR bestehe. Wer einen ausreichenden Verdacht feststellen sollte, war aber unklar. Außerdem hieß es in dem Gesetz, dass einem früheren Mitarbeiter der Stasi seine Tätigkeit „nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwendet werden darf“.

Von diesem Passus hatten Bürgerrechtler und DDR-Oppositionelle erhebliche Einschnitte in die Pressefreiheit erwartet. Verdächtige würden mit ihren Anwälten unbotmäßige Berichterstattung unterbinden, so die Befürchtung.

„Die reguläre Überprüfung in einer Zeit abzuschaffen, in der ehemalige Stasioffiziere versuchen, ihr Handeln zu legitimieren, ist das falsche Signal“, sagte Ehrhart Neubert vom Bürgerbüro Berlin der taz. Rainer Eppelmann, Chef der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, meinte, „ein Arbeitgeber muss das Recht haben, jemanden zu entlassen, wenn er einmal MfS-Mitarbeiter war“. Das erschwere der bisherige Entwurf erheblich.

Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) hatte sogar einen eigenen Gesetzesvorschlag im Bundesrat eingebracht, um die Stasianfrage light zu verhindern. Althaus’ Entwurf sah vor, die zeitliche Begrenzung der Regelanfrage schlicht entfallen zu lassen – das heißt, sie unbefristet durchzuführen.

Dagegen wiederum wehrt sich die Stasiunterlagen-Behörde, welche an dem verschobenen Gesetzentwurf mitgewirkt hat. Die Regelanfrage sei ein unpraktikables Relikt, das abgeschafft gehöre, heißt es dort. Begründung: Immer weniger Länderparlamente und Behörden führten die Anfrage überhaupt noch durch. „Außerdem ist die Befristung dieser Praxis nicht ohne Grund versprochen worden“, sagt Michael Beleites, der sächsische Landesbeauftragte für die Stasiunterlagen.

Beleites befürwortet das Gesetz, weil die bisherige Aufarbeitung der SED-Diktatur „unter einem alleinigen Fokus auf die Stasi“ leide. Zweitens brandmarke die Regelanfrage jeden enttarnten ehemaligen IM als Verbrecher. „Es wurden aber viele erpresst oder auf andere Weise zur Zusammenarbeit genötigt.“

Werner Schulz setzt den Akzent indes anders. Er argumentiert, „dass es nicht darum geht, den Stab über den Leuten zu brechen, die Kontakt zur Stasi hatten“. Aber man müsse die Möglichkeit haben, den Einzelfall zu prüfen. „Dazu brauchen wir die Regelanfrage“, sagte Schulz, „weil den Betroffenen auch heute noch der Mumm fehlt, ihre Kontakte selbst zu offenbaren.“

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