Türkei spaltet die große Koalition

Heute veröffentlicht die EU-Kommission ihren Fortschrittsbericht zum möglichen EU-Beitritt der Türkei. CSU, CDU und SPD nutzen die Gelegenheit zur Wiederbelebung eines alten Streits: Edmund Stoiber sagt Nein, Angela Merkel Jein und Kurt Beck Ja

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Der Termin ist lange bekannt, der Streit in der Sache erwartbar, der Ausgang des Konflikts weiterhin offen. Heute will die EU-Kommission ihren Fortschrittsbericht zu einem möglichen EU-Beitritt der Türkei vorlegen. Aus Brüssel verlautete schon vorige Woche, dass der Report negativ bis desaströs ausfallen wird. Für die große Koalition in Berlin ist das ein willkommener Anlass, zum wiederholten Male die unterschiedlichen Positionen in ihren Reihen zur Türkeifrage deutlich zu machen.

Am weitesten wagt sich, wenig überraschend, Edmund Stoiber vor. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende sagt dabei das, was Angela Merkel eigentlich denkt, in ihrer Funktion als Kanzlerin und erste Außenpolitikerin des Landes aber nicht sagen darf. „Die Türkei ist kein europäisches Land und kann deshalb am Ende der Verhandlungen auch nicht EU-Mitglied werden“, erklärte Stoiber am Dienstag.

Er forderte das Einfrieren aller weiteren Türkei-Verhandlungen. Das müsse „die Konsequenz sein aus dem andauernden Vertragsbruch der Türkei gegenüber dem EU-Mitglied Zypern und dem negativen Bericht der EU-Kommission über Fortschritte in der Türkei“. Stoiber bezeichnete die bisherige Nichtanerkennung Zyperns als „absolut inakzeptabel“ und „krass vertragswidrig“.

Angela Merkel – als Oppositionsführerin noch erklärte Gegnerin eines EU-Beitritts der Türkei, als Kanzlerin Befürworterin ergebnisoffener Verhandlungen – scheut die klaren, konsequenten Worte Stoibers. Aber auch sie hat sich in diesen Tagen relativ kritisch mit der türkischen Haltung gegenüber Zypern auseinandergesetzt – hinter verschlossenen Türen, aber auch öffentlich.

Im CDU-Präsidium am Montag bezeichnete sie die Weigerung der Türkei, zypriotischen Schiffen und Flugzeugen Zugang ins eigene Land zu gewähren, als „völlig inakzeptabel“. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, in dem die Kanzlerin einen Ausblick auf die EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands gab, äußerte sie sich etwas zurückhaltender, aber dennoch besorgt. Sie hoffe sehr, dass das abgesagte Treffen zwischen der finnischen Präsidentschaft und der Türkei zur Zypernfrage „nicht das letzte Wort“ sei. „Wir brauchen eine Umsetzung des Ankara-Protokolls über die Freizügigkeit des Warenverkehrs auch mit Zypern“, sagte Merkel. „Sonst entsteht eine sehr, sehr ernste Situation, was die Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen anbelangt.“

Die Sozialdemokraten verlangen von der Türkei ebenfalls eine andere Zypernpolitik – aber sie verbinden diese Forderung mit dem klaren Wunsch, dass die Türkei am Ende der Verhandlungen Mitglied der EU wird. „Einen Abbruch der Gespräche hielte ich für einen schwerwiegenden Fehler“, sagte SPD-Chef Kurt Beck gestern in direkter Entgegnung auf Stoiber. Bei einem Scheitern der Türkeiverhandlungen gebe es die „riesige Gefahr“, dass der Brückenschlag zwischen Europa und der muslimischen Welt „einen schwersten Rückschlag“ erleide. Von Sanktionen gegen die Türkei hält Beck nichts: „Wir sind in einer Phase des Redens und nicht des Sanktionierens.“