Union im Bundestag entzaubert Rüttgers-Plan

Mehr Arbeitslosengeld für Ältere? CDU/CSU-Fraktion bremst Euphorie: „Dann muss man Jüngeren etwas nehmen“

BERLIN taz ■ Peter Ramsauer ist genervt. „Muss das sein?“, entfährt es dem CSU-Landesgruppenchef, als ein Journalist „noch eine Frage zum Arbeitslosengeld“ stellen möchte. Schon wieder! Dabei hatte Ramsauer doch gerade ausdrücklich erklärt, dass er und seine Kollegen von der CSU „nicht weiter darüber reden“ wollten. Die Debatte um ein längeres Arbeitslosengeld für Ältere sei „nicht unsere Geschichte“, hat Ramsauer betont. Sondern eine Geschichte der CDU – und die hat damit, wie inzwischen immer deutlicher zutage tritt, selbst genug Probleme.

CDU-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen spricht lieber von einem „Abwägungsprozess“, der in der Union stattfinde. Seit der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers gefordert hat, künftig länger Arbeitslosengeld I an Ältere auszuzahlen, ist die Union hin- und hergerissen. Auch die CSU. Ramsauer ist dagegen, Parteichef Edmund Stoiber dafür.

Einerseits sträuben sich viele, insbesondere Vertreter des wirtschaftsliberalen Flügels, gegen Rüttgers’ Umverteilungspläne, weil sie darin eine Abkehr von der bisherigen Reformpolitik der Regierungen Schröder und Merkel sehen. Andererseits wissen alle, wie populär Rüttgers’ Vorschlag ist. „Wahnsinnig populär“ nennt ihn die SPD-Linke Andrea Nahles, obwohl ihre Partei offiziell strikt dagegen ist. Gerade der Widerstand der SPD aber motiviert einige in der CDU erst recht, Rüttgers Beifall zu klatschen. Der Antrag für Änderungen an den Hartz-Gesetzen, den Rüttgers beim CDU-Parteitag Ende November einreichen wird, findet auch an der Unionsbasis große Zustimmung, denn Rüttgers hat einen Nerv getroffen: das Gerechtigkeitsgefühl. Es könne doch nicht sein, dass Leute, die jahrzehntelang Beiträge eingezahlt hätten, schon nach einem Jahr auf Hartz-IV-Niveau absinken, sagt Rüttgers – und es spricht viel dafür, dass er für seinen Antrag auf dem Parteitag eine Mehrheit findet. Im Parteipräsidium bekam er sie schon.

Es ist nicht anzunehmen, dass Angela Merkel viel von Rüttgers’ Plänen hält, doch sie schweigt und lässt ihn gewähren. Aus taktischem Kalkül: Mit offenem Widerstand gegen Rüttgers hätte die CDU-Chefin eine peinliche Abstimmungsniederlage riskiert – und vielleicht sogar die Wiederwahl ihres Generalsekretärs Ronald Pofalla gefährdet. Die scheint nun, dank der Übereinkunft mit der NRW-CDU, sicher.

Rüttgers scheint sich also mit seinen Plänen durchzusetzen. Auf dem Parteitag. Auf dem Papier. Aber ob am Ende wirklich das Signal einer sozialeren CDU ausgesendet wird, das Rüttgers für sich reklamieren will, ist fraglich. Dafür bekunden prominente CDU-Politiker jetzt schon zu laut ihre Bauchschmerzen.

Wenn man sich mit den Rüttgers-Vorschlägen beschäftige, müsse man die „Vorteile und Nachteile“ benennen, sagt der Fraktionsgeschäftsführer Röttgen. „Es gibt Gewinner und Verlierer.“ Erstens sei klar: „Wenn man den Älteren etwas gibt, dann muss man den Jüngeren etwas nehmen.“ Zweitens berge der Vorschlag auch für Ältere Gefahren. Durch die längere Arbeitslosengeld-Auszahlung wäre „eine frühere Entlassung älterer Arbeitnehmer programmiert“. So entzaubert die CDU schon jetzt ihren eigenen Beschluss, den sie wahrscheinlich in drei Wochen verabschieden wird. LUKAS WALLRAFF