WARUM MAN VON DIYARBAKIR BIS IZMIR NUR NOCH DEN KOPF ÜBER DIESE KOMISCHE EUROPÄISCHE UNION SCHÜTTELT
: Visafreiheit für Trinidad und Tobago, nicht für die Türkei

Von Europa spricht man hier nur noch, wenn „unser Tayyip“ es den Europäern mal wieder gezeigt hat

VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

Grenada, Marshall Islands, Mikronesien, Santa Lucia, Samoa, Trinidad, Tobago und Tuvalu. Wer in der Türkei an Europa glaubt, las gestern in der Zeitung diese Namen und hatte das Gefühl, einen Schlag in die Magengrube zu bekommen. Denn alle diese Südseeidyllen haben eins gemeinsam: Die Europäische Union hat vor zwei Tagen entschieden, dass Bürger dieser und weiterer pazifischer und karibischer Inseln zukünftig ohne Visum in die EU einreisen können.

Trinidad und Tobago, Namen, die man aus Seeräuberromanen kennt, aber nicht aus Handels- oder gar Beitrittsverhandlungen der EU. Exoten, die nun auch noch vor der Türkei, einem Land, dass sich seit 50 Jahren um eine Annäherung an Europa bemüht und seit 2005 Beitrittsverhandlungen führt, den Vorzug bekommen haben.

Es klingt längst wie ein Hohnlachen auf die großen Erwartungen, die man noch vor zehn Jahren am Bosporus für realistisch hielt. Spätestens in zehn Jahren sind wir in Europa, glaubte man damals. Nicht nur, dass von einem Beitritt zur EU heute niemand mehr redet, auch die Chance, wenigstens in absehbarer Zeit ohne Demütigungen von Zöllnern und Grenzpolizisten nach Europa reisen zu können, löst sich langsam in Luft auf.

Aus enttäuschten Hoffnungen entsteht Trotz und der personifizierte Trotz der Türkei ist Recep Tayyip Erdogan. Von Europa spricht man hier nur noch, wenn „unser Tayyip“ es den Europäern mal wieder gezeigt hat. Ein sicherer Hit für den Wahlkämpfer Tayyip Erdogan ist es mittlerweile, Hohn und Spott über Europa auszugießen. Wenn Erdogan im August dieses Jahres als Präsident der Türkei gewählt werden wird, als starker Mann, der die Türkei zu neuer Größe geführt hat, dann ist das auch der Ignoranz und politischen Dummheit vieler Europäer zu verdanken. Nicht zuletzt Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben Recep Tayyip Erdogan groß gemacht.

Wenn Bundespräsident Gauck dieser Tage in Ankara und Istanbul über die Einschränkung der Meinungsfreiheit und die Demontage des Rechtsstaates in der Türkei klagte, ist das ein wenig wohlfeil. Warum hat die EU nicht vor zehn Jahren über die Kapitel zur Meinungsfreiheit und Justiz in den Beitrittsverhandlungen mit Erdogan Tacheles geredet, als dieser noch reden wollte. Warum hat man sich von 800.000 Zyprern vorschreiben lassen, worüber Europa mit der Türkei reden darf?

Weil Leuten wie Sarkozy und Merkel das in den Kram passte, man sich sehr gut hinter den Zyprioten verstecken konnte, und auch kein Putin im Hintergrund dräute, der sich vielleicht stattdessen die Türkei einverleibt hätte. Das man wegen ein paar dummer Ressentiments einen geopolitischen Großfehler begangen hat, wen schert’s. Stattdessen soll die EU jetzt in den Kampf um die Ukraine ziehen. Ohne Putin würde die Ukraine die EU so wenig scheren wie vorher die Türkei.

Über Demokratiedefizite kann man ja trotzdem klagen, dass kommt zu Hause immer gut an. Die Europawahl interessiert in der Türkei jedenfalls niemanden. Und das völlig zu Recht