Abschieber können es nicht erwarten

Eine Woche vor einer Bleiberechtsregelung will Niedersachsen rasch noch eine Massen-Abschiebung ins Kosovo durchführen. Schleswig-Holstein hat Abschiebungen hingegen ausgesetzt, Hamburg will seine bisherige harte Linie heute aufweichen

VON KAI SCHÖNEBERG
UND SVEN-MICHAEL VEIT

Kurz vor der Entscheidung über ein Bleiberecht von lange in Deutschland lebenden Flüchtlingen schafft Niedersachsen rasch noch Fakten. „Unerträglich“ findet es der dortige Flüchtlingsrat, dass heute 30 Flüchtlinge nach Pristina ins Kosovo abgeschoben werden sollen, darunter ein Kosovo-Albaner aus Hildesheim und zwei Roma-Familien aus dem Kreis Diepholz. Dabei wollen die Innenminister in der kommenden Woche eine Bleiberechtsregelung beschließen (siehe Kasten).

Schleswig-Holstein hat im Vorgriff auf diese Regelung bereits Abschiebungen bis zum Jahresende ausgesetzt. „Es gibt keinen Abschiebestopp in Niedersachsen“, sagt hingegen Landes-Innenminister Uwe Schünemann (CDU) zur taz. Der Kompromiss, den er bei der Innenministerkonferenz erwartet, werde wahrscheinlich zudem „sehr begrenzt“ ausfallen: „Die im Flieger haben wenig Chancen, unter diese Regelung zu fallen.“

Zumindest für den 18-jährigen Kosovo-Albaner muss das nicht zutreffen. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will nämlich alle Flüchtlinge hier behalten, die seit mehr als acht Jahren in Deutschland leben. Schünemann hingegen will nur Familien mit schulpflichtigen Kindern, die seit mehr als sechs Jahren geduldet sind, ein Bleiberecht zugestehen.

Der Mann aus Hildesheim lebt sogar seit zwölf Jahren hier und besucht die Tagesrealschule. Außerdem hat ihn das Amtsgericht nach Angaben des Flüchtlingsrats zum Betreuer seines Vaters bestellt, der unter schweren Depressionen leidet. Die Abschiebung in ein ihm völlig fremdes Land wäre also nicht nur eine Katastrophe für den jungen Mann, sondern auch für die Familie.

Vielleicht könnten auch die Roma-Familien nach einem Kompromiss bleiben. Sie leben seit sieben Jahren in Deutschland und gelten als gut integriert: Die Familienväter arbeiten und nach Angaben des Flüchtlingsrats sind sechs der acht Kinder hier geboren.

Immerhin hat das Verwaltungsgericht in Stade gestern Sedri B. aus Worpswede vorerst vor der Abschiebung gerettet. Der 33-jährige Kurde sollte ebenfalls heute in die Türkei ausgewiesen werden – in ein Land, in dem er gefoltert worden ist. Das Gericht entschied, dass weiter geprüft werden muss, ob seine psychische Störung die Abschiebung nicht verhindert. B. floh vor 14 Jahren nach Deutschland.

Die Abschieber sitzen aber nicht nur in Niedersachsen. Auch Hamburg hat im Oktober sieben Ausländer abgeschoben, die Haftstrafen wegen Mordes, Vergewaltigung, Körperverletzung oder Drogendelikten verbüßt haben. Im September hatte die Hansestadt sich sogar zur europäischen Abflugzentrale gemacht. Mitten in der Nacht wurden mit einem Charterflug 32 Abschiebehäftlinge vom Hamburger Flughafen in die westafrikanischen Staaten Guinea, Togo und Benin geflogen.

Aus Hamburg kamen 13 der Abgeschobenen, zwölf weitere aus anderen Bundesländern. Sieben Betroffene waren zuvor eigens aus den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz und sogar Malta an die Elbe transportiert worden. Der parteilose Innensenator Udo Nagel, von seinem Vorgänger Ronald Schill als Polizeipräsident aus München nach Hamburg geholt, freute sich seinerzeit über „die gute europäische Zusammenarbeit im Kampf gegen Kriminalität und illegale Einwanderung.“

Aktuell aber hat die Stimmung im Stadtstaat sich gedreht. Auf Druck seiner eigenen Schul- und Jugendpolitiker will der CDU-Senat zumindest den Kindern illegal Eingereister „einen gesicherten Aufenthalt bis zum Erreichen des Schulabschlusses verschaffen“, wie Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) versichert. Nach vorsichtigen Schätzungen besuchen mindestens 100 Kinder ohne legalen Status Hamburger Schulen.

Noch weiter gehen will Bürgermeister Ole von Beust (CDU). Vor einer Woche hatte er bereits Eckpunkte eines Integrationskonzeptes vorgestellt, welches auch die Migrationspolitikerinnen der Oppositionsparteien SPD und Grüne als „Schritt in die richtige Richtung werteten. Heute will er zusammen mit Innensenator Nagel seine Vorstellungen von Bleiberecht und Rückführungspolitik präsentieren. Kern wird nach taz-Informationen sein, „die Zuwanderung von Leistungsträgern“ zu erleichtern und zugleich hier geborene und ausgebildete junge MigrantInnen nach Beendigung von Schule oder Studium „nicht in das Land ihrer Eltern“ abzuschieben. Das deutsche Ausländerrecht müsse „von einem reinen Abwehrrecht zu einem qualifizierten Integrationsrecht werden“, findet der Bürgermeister.