Pisa-Kritiker erheben massive Vorwürfe

Der internationale Schulvergleich Pisa soll unwissenschaftlich sein: Stichproben falsch gezogen, der zentrale Pisa-Rechner in Australien fehlprogrammiert. Potsdamer Pädagoge fordert „Raus aus Pisa“. Pisa-Chef Prenzel: Die haben nichts verstanden

VON CHRISTIAN FÜLLER

So viel Andrang war selten im mathematikdidaktischen Kolloquium der Universität Potsdam. Doch am Dienstagabend wollten rund 50 Zuhörer in Saal 0.59 wissen, wie Joachim Wuttke die große Pisa-Verschwörung entlarvt. Der Münchener Physiker sieht den internationalen Schulleistungsvergleich Pisa „wissenschaftlich spektakulär gescheitert“.

Wuttke glaubt, der Industrie der Pisa-Forscher eine ganze Serie von Fehlern nachweisen zu können – von falsch gezogenen Stichproben bis hin zu statistischen Tricks. Wuttkes stärkstes Argument: Der zentrale Pisa-Rechner in Australien sei falsch programmiert. Das führe zu ungenauen Berechnungen der Schülerleistungen, die durch Pisa weltweit verglichen werden. Weil sich aber „die Projektpartner weltweit auf das Computerprogramm verlassen“, so die Kritiker, sei „die aufwändigste Schulstudie aller Zeiten“ fehlerhaft und nicht verwendbar.

Die Versammlung an der Uni Potsdam folgte der Pisa-kritischen Deutung. Der Pädagoge und Buchherausgeber Thomas Jahnke nannte der taz als logische Konsequenz aus den vermeintlichen Pisa-Fehlern: „Wir müssen raus aus Pisa.“

Manfred Prenzel ist da vorsichtiger. Der Chef der deutschen Pisa-Studie weist darauf hin, „dass wir die Pisa-Tests alle selbst parallel zu den Australiern durchrechnen“. Mit anderen Worten: Der australische Fehler werde, wenn es ihn denn gibt, in Deutschland nicht wiederholt, sagte Prenzel, der Chef des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften ist.

Manfred Prenzel zeigte sich enttäuscht, dass Joachim Wuttke „vieles von Pisa nicht verstanden hat“. Ein Beispiel: Wuttke behauptet, dass nur in Deutschland die Sonderschüler mit zum Test hätten antreten müssen. Hätte man auf die Sorgenkinder verzichtet, „stiege Deutschland im Lesetest vom 18. auf den 12. Platz“. Tatsächlich ist es aber so, dass es Sonderschüler nur in Deutschland und fünf weiteren Staaten gebe. Daher sei für diese Schüler ein eigenes Pisa-Testheft kreiert worden. „Wir wollten nicht mit dem großen Testheft in die Sonderschulen, wir wollten es menschlicher machen“, sagte Prenzel der taz.

Die Berliner Mathematikdidaktikerin Christine Keitel-Kreidt, ebenfalls eine Pisa-Skeptikerin, sagte der taz: „Wir müssen mit den Pisa-Ergebnissen bewusster umgehen, denn Pisa überrollt alles andere, was wichtig ist in der Schule.“ Keitel-Kreidt fordert, endlich Konsequenzen aus den schulischen Problemen zu ziehen, die auch schon vor Pisa bekannt gewesen seien. „Wir müssen die Schulen besser machen und den Unterricht verändern.“ Als Priorität nennt Keitel-Kreidt dabei das, was die Kultusminister bislang eher zögerlich in Angriff genommen haben: die Teamarbeit wie die Ausbildung von Lehrern zu verbessern und sich endlich um die „verlorenen Schüler in den Hauptschulen zu kümmern“.

Th. Jahnke und W. Meyerhöfer (Hrsg.): „PISA & Co – Kritik eines Programms“. Hildesheim 2006. 349 Seiten, 9,90 €