„Keine Lösung bis Anfang Dezember“

ISTANBUL taz ■ In einer ersten Reaktion auf den gestern vorgelegten Fortschrittsbericht der EU zur Türkei hat der türkische Ministerpräsident Erdogan angedeutet, dass der wesentliche Konflikt um Zypern wohl auch im kommenden Monat nicht ausgeräumt werden wird. Erdogan sagte zwar, es werde keinen Zusammenstoß zweier Züge geben, ein Bild das EU-Erweiterungskommissar Rehn als Synonym für den Stopp der Verhandlungen benutzt hatte, gleichwohl halte er es nicht für realistisch, bis Anfang Dezember eine Lösung im Zypernkonflikt zu erreichen.

Einen etwas anderen Ton schlug dagegen der türkische Außenminister Gül in Rom an. Er sagte, die Türkei wolle demokratischer werden und alle EU-Kriterien erfüllen. Dies werde nicht einfach, letztendlich aber erfolgreich sein.

Anders als die EU-Kommission, besteht Ankara darauf, dass eine Öffnung der türkischen Häfen und Flughäfen für die griechischen Zyprioten nur dann erfolgen kann, wenn die EU im Gegenzug das Embargo gegen die türkischen Bewohner im Inselnorden aufhebt. Der Kompromissplan der finnischen Ratspräsidentschaft wird als unzureichend empfunden, weil der Flughafen in Nordzypern gesperrt bleiben soll. Ohne die Möglichkeit von Direktflügen dorthin, werde sich aber an der schlechten wirtschaftlichen Lage dort nichts ändern.

Einfacher sieht es beim zweiten wichtigen Konfliktpunkt, der eingeschränkten Meinungsfreiheit durch den Straftatbestand der „Beleidigung des Türkentums“ aus. Erst vor wenigen Tagen hat Erdogan bei einem Treffen mit Gewerkschaften und NGOs seine Bereitschaft, den Paragrafen 301 zu ändern, erklärt. Man solle ihm konkrete Vorschläge machen. Nach Ansicht kritischer Juristen reiche bereits eine geringfügige Änderung des Strafgesetzes, um Prozesse wie den gegen Orhan Pamuk und andere Schriftsteller zukünftig auszuschließen. Diese Änderungen seien sehr schnell umzusetzen.

In den türkischen Medien wird bereits ganz offen darüber diskutiert, ob es nicht vielleicht sogar besser sei, die Verhandlungen für ein oder zwei Jahre auszusetzen, damit die EU noch einmal überlegen könne, ob ihr Angebot an die Türkei wirklich ernsthaft sei. Die Signale aus Brüssel, vor allem aber aus diversen Mitgliedsstaaten, haben bei dem überwiegenden Teil der türkischen Bevölkerung eher zu der gegenteiligen Annahme geführt.

Bleibt Erdogan in der Zypernfrage hart, kann er sich breiter innenpolitischer Zustimmung sicher sein. JÜRGEN GOTTSCHLICH