Das Massaker

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Seit den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts war es nicht mehr vorgekommen, dass in den USA eine Partei das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses kontrollierte. Diese Ära ist in den USA in der Nacht zum Mittwoch beendet worden: Die sechsjährige Alleinherrschaft der Konservativen ist Geschichte. Noch während der Wahlnacht, als sich der Sieg der Demokraten im Unterhaus abzeichnete, begrüßte die zukünftige Sprecherin des Repräsentantenhauses, die Grande Dame der Demokraten, Nanci Pelosi, die Rückkehr zum Zweiparteiensystem.

Kein Wahlkampfausrutscher der Demokraten konnte den Wunsch der US-AmerikanerInnen nach einem Wechsel aufhalten. John Kerry, der demokratische Expräsidentschaftskandidat, hätte auch jeden Republikaner einzeln beschimpfen können. Man könnte auch sagen, dass die Demokraten trotz der Demokraten gewonnen haben. Denn was die Liberalen so genau anders machen wollen – und können – als ihre republikanischen Kollegen, bleibt bis heute unklar. Dennoch statteten die WählerInnen ihre Demokraten mit knapp 30 Sitzen Mehrheit im Repräsentantenhaus komfortabel aus. Doch wird, solange der Senat nicht eindeutig gewonnen werden kann, diese Mehrheit kaum ausreichen, um eine deutliche Kurskorrektur in der US-Politik zu erwirken. Andererseits sind die Demokraten nun stark genug, um ab 2009 auch einem möglichen künftigen republikanischen Präsidenten auf die Finger klopfen zu können.

Einem alten geografischen Muster treu bleibend, taten sich die US-WählerInnen im Süden und Westen am schwersten damit, die Republikaner aufzugeben. Absoluter Gewinner ist der republikanische Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger. Er konnte sich haushoch mit 56 Prozent behaupten. Im Mittleren Westen hingegen wurden die Republikaner regelrecht massakriert. Amtierende republikanische Senatoren in Ohio und in Pennsylvania wurden mit erheblichen Stimmverlusten aus dem Amt katapultiert.

Die allerseits befürchtete Wahlabstinenz der konservativen WählerInnen war es allerdings nicht, die den Demokraten den Sieg ermöglichte. Vielmehr waren es die sogenannten swingvoters, die Wechselwähler in Wahlkreisen, die Präsident George Bush im Jahr 2004 noch spielend für sich hatte einnehmen können, die den Demokraten zum Sieg verhalfen. Im Umkehrschluss heißt das auch, dass ausgerechnet liberale Republikaner massiv abgestraft wurden. Knapp zwei Dutzend der neu gewählten Demokraten in Kongress und Regionalämtern waren zuvor Republikaner gewesen, zum Teil sogar in hohen Parteiämtern. Bei ihnen hatte die Dämonisierungsstrategie der republikanischen Wahlkampfzentrale einfach keinen Erfolg mehr, die sich nicht scheute, Liberale als Terroristenfreunde zu porträtieren.

Spekulationen darüber, was die Rückeroberung des Repräsentantenhauses durch die Demokraten für die künftige Politik bedeuten wird, schießen schon seit einigen Wochen ins Kraut. Dabei überwiegt unter Beobachtern die Einschätzung, dass Euphorie und zu hohe Erwartungen, dass nun alles „anders“ werden könnte, völlig fehl am Platze sind. Zumal ein Senat, der – so sah es bis Redaktionsschluss aus – 50:50 besetzt sein wird, eine unberechenbare Größe bleiben dürfte. Irak, Iran und Nordkorea sind Krisenfelder, zu denen es unter den Demokraten noch keine einheitliche Haltung gibt, meint zum Beispiel Thomas Schaller, Politologe von der Universität Maryland. Seiner Ansicht nach werden die Demokraten jedoch die Zeit bis zu ihrem Einzug in den Kongress am 3. Januar 2007 intensiv nutzten, um sich zu positionieren.

Was können die Demokraten nun wirklich erreichen? Nahezu alle Analysten sind sich darin einig, dass die Liberalen ihre neue Macht auf alle Fälle dazu nutzen werden, im Kongress Anhörungen einzubestellen zu Themen, die bislang bequem unter den Tisch gekehrt werden konnten. Dazu gehören dürften der Umgang mit dem Hurrikan „Katrina“, die Ausgaben für den Krieg im Irak sowie die Korruption und Vertragsvergabe im Irak, vor allem an den Konzern Halliburton, zu dem Vizepräsident Dick Cheney beste Kontakte pflegt.

Theoretisch können die Demokraten zwar zahllose Untersuchungsausschüsse einsetzen, doch hat Nancy Pelosi bereits klargemacht, dass es nicht ihre Politik sein wird, nun Rache an den Republikanern zu üben. Denn vor nichts haben die Demokraten im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl 2008 mehr Angst, als ihre WählerInnen durch Radikalität zu verschrecken. Vielmehr wird es das Ziel von Pelosi und ihrer Partei sein, allen zu beweisen, dass die Demokraten, entgegen dem Ruf, der ihnen seit zwei Jahrzehnten anhaftet, ihren Laden zusammenhalten können.

Gute Einflussmöglichkeiten sehen sie in der Haushalts- und Steuerpolitik. Den Demokraten stehen nun die einflussreichen Chefposten der Fachausschüsse zu, in denen sie die Tagesordnung bestimmen können. Hier könnten sie Gesetzesprojekte des Präsidenten auf die lange Bank schieben. Der Kommentator Jerry Hagstrom vom National Journal ist sich zudem sicher, dass es nun zur überfälligen Debatte kommen wird, ob der Irakkrieg ein Fehler war – und ob es weiterhin eines der Ziele der US-Außenpolitik sein sollte, Demokratie in Ländern zu propagieren, die die USA als „feindlich“ einschätzen.

Bush wird Kompromisse mit den Demokraten suchen müssen. Denn wenn er in seiner auslaufenden Amtszeit tatsächlich noch innenpolitisch Bleibendes schaffen will, kann er sich auf zeitraubendes Tauziehen bei der Durchsetzung nicht einlassen. Bush selbst kann seiner Zeit als „lahme Ente“ jedoch in gewisser Hinsicht entspannt entgegensehen. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass US-Präsidenten mit einem Kongress der Opposition bislang eher an Statur gewonnen haben. Denn dann kommt ihre Machtfülle erst voll zur Geltung. Beobachter gehen davon aus, dass Bush es zudem bei mindestens zwei Themen sogar leichter mit den Demokraten haben wird als bisher: Immigration und Gesundheitspolitik. Vor allem bei der Verabschiedung eines liberalen Gastarbeitergesetzes hatten die Republikaner ihren Präsidenten böse auflaufen lassen. Mit den Demokraten dürfte es hingegen schnell zu einer Einigung kommen.

Was Bush jedoch wirklich Kopfschmerzen bereiten wird, da ist sich der Analyst Chuck Todd sicher, sind die „überlebenden Republikaner. Sie werden nicht besonders loyal sein und sich für ihn zur unberechenbaren Größe entwickeln.“ Der republikanische Senator John McCain aus Arizona war noch in der Wahlnacht der Erste, der sich von Bush distanzierte. Die Niederlage nannte er „ein Weckruf“ für die Republikaner. Er denke an den früheren Präsidenten Ronald Reagan zurück, der bewiesen habe, dass die Partei nach einer schweren Niederlage aus eigener Kraft wieder aufstehen könne. Ein nicht zu überhörender Seitenhieb auf Bush.