PROZESS IN DEN HAAG ARBEITET KONGOS VERGANGENHEIT NICHT AUF
: Weit hinter den eigenen Ansprüchen

Der Beginn des ersten Gerichtsverfahrens vor dem Internationalen Strafgerichtshof müsste ein Anlass zur Freude sein, eine Bestätigung für alle Anhänger eines Kampfs gegen die Straflosigkeit von Kriegsverbrechern. Aber das Vorverfahren gegen den Kongolesen Thomas Lubanga, das gestern in Den Haag begonnen hat, fällt weit hinter die eigenen hehren Ansprüche des Gerichtshofs zurück.

Statt Massenmord und Genozid geht es gegen Lubanga um die Rekrutierung von Kindersoldaten – ein Verbrechen gewiss, aber eines, für das man die komplette kongolesische Regierung auf die Anklagebank setzen könnte. Die eigentlichen Kriegsverbrechen in Lubangas Heimatregion Ituri, einem Landstrich der verbrannten Erde, des ethnischen Hasses und der unvorstellbar grausamen Massaker, bleiben ausgespart.

Vergangenheitsbewältigung hätte die Demokratische Republik Kongo bitternötig. Seit zehn Jahren von Kriegen zerrissen und noch heute den ersten freien Wahlen von Gewalt zwischen führenden Politikern geprägt – das Land steht trotz drei Jahren Friedensprozess erst am Anfang einer Versöhnung zwischen seinen mächtigen Warlords. Inmitten von allgemeinem Misstrauen, weiter vorhandener Gewaltbereitschaft der Mächtigen und umgeben von Privatarmeen soll nun demnächst eine gewählte Regierung ihre Ämter aufnehmen. Es gibt keine Aufarbeitung vergangener Verbrechen, keine Versöhnung zwischen Kriegsgegnern.

Das Den Haager Verfahren ist für eine kongolesische Vergangenheitsbewältigung nicht hilfreich, denn es greift zu kurz und versucht nicht einmal, durch gleichzeitige Anklagen gegen alle betroffenen Kriegsparteien den Anschein von Gerechtigkeit herzustellen. Aber kongolesische Forderungen nach einem Kongo-Kriegsverbrechertribunal stoßen international auf taube Ohren, und die in den geltenden Friedensverträgen vorgesehene Wahrheitskommission dümpelt mangels Budget tatenlos vor sich hin. Wer Kongos finstere jüngere Geschichte aufarbeiten will, sollte nicht auf Den Haag hoffen, sondern im Kongo etwas aufbauen, das der Wahrheitsfindung dient. DOMINIC JOHNSON