LESERINNENBRIEFE
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Infame Augenwischerei

■ betr.: „Geißler oben ohne“, „Vom Bürgerprotest zum Bürgerhaushalt“ u. a., taz vom 1. 12. 10

Die deutsche Sprache kann auf unerwartete Weise entlarven. Aus einem Schlichterspruch z. B. wird, durch Änderung der Schreibweise, bei einigen Kommentatoren ein „schlichter Spruch“. Aber die dialektisch gewiefte Entscheidung des Ex-CDU-Generalsekretärs ist so einfach nicht abzutun.

Ich fürchte, die sogenannten Plus-Verbesserungen wird es nicht geben. Einen Stresstest kann man nämlich sorgfältig programmieren. Die zwei Zusatzgleise können sich als technisch nicht machbar erweisen. Und die infamste Augenwischerei: Alt gewachsene Bäume können nicht verpflanzt werden. Vermutlich wird ganz schnell mit dem Baumfällen begonnen werden.

Es hat funktioniert. Die arglos treuherzigen Kontra-Vertreter fühlen sich ernst genommen und sind geschmeichelt. Die Wischiwaschi-SPD muss sich nicht engagieren. Das Volk ist beruhigt und kann im März wieder mehrheitlich CDU wählen. Und Mappus, Gönner, Kefer und Konsorten hüten sich, ihren Triumph allzu offen herzuzeigen. GÜNTER RAMDOHR, Leutenbach

Talentförderung wagen

■ betr.: „Bildungsreform. Neue Proteste in Italien“, taz vom 1. 12. 10

Die italienischen Studentenproteste verdienen mehr als eine Randnotiz in der taz. Denn letztlich zeigt die „Verbrannte Erde“-Bildungspolitik von Silvio Berlusconi ein Kardinalproblem, dessentwegen der Süden Europas wirtschaftlich nicht auf die Beine kommt:

Weil die dortigen Staaten seit Jahren nicht mehr genügend in die junge Generation investieren und ihr lediglich ein gnadenlos unterfinanziertes Bildungswesen sowie einen einseitig zu ihren Lasten liberalisierten Arbeitsmarkt mit fast nur noch prekären Beschäftigungsverhältnissen anbieten. Womit den Volkswirtschaften aber die Innovationskräfte verloren gehen, was keinen geringen Standortnachteil im internationalen Wettbewerb bedeutet. Weswegen sich das Schicksal des Euros ebenfalls daran entscheidet, ob die PIGS-Staaten endlich umdenken und den Aufbruch in eine moderne Wissensgesellschaft durch eine bessere Talentförderung wagen. Daher muss das Rettungspaket für die Gemeinschaftswährung neben Finanzhilfen und Sparvorgaben auch eine verpflichtende Bildungsoffensive beinhalten! RASMUS PH. HELT, Hamburg

Ein klassischer Fehlschluss

■ betr.: „Hormone auch für den Mann“, taz vom 26. 11. 10

Die Studie aus Greifswald, nach der Männer mit wenig Testosteron häufiger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Tumorerkrankungen sterben, kann – zumindest mit den in dem Artikel angedeuteten Daten – überhaupt keinen Kausalzusammenhang zwischen den Messwerten und den Erkrankungen zeigen, sondern nur eine Korrelation. Daraus abzuleiten, dass der Testosteronspiegel aller Männer gemessen und durch Substitution reguliert werden sollte, ist ein klassischer Fehlschluss. Genauso könnte man aus der bekannten Korrelation der Storchenpopulation und der Geburtenrate in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schließen, wir bräuchten „Nistplätze statt Elterngeld“. Dies hervorzuheben und den Blick für solche Unterschiede zu schärfen, wäre eine wichtige Aufgabe von Wissenschaftsjournalismus.

Dabei behauptet im letzten Satz gerade einer der Streiter für die breite Hormontherapie eine ganz andere Kausalität, die auch die Studie in Greifswald erklären könnte: Übergewicht, das bekanntlich ein wesentlicher Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist, senke den Testosteronspiegel … FRANK KÜSTER, Miltenberg