Wo bleibt die Vision, Männer?

TV-DUELL So kriegt man keine Wähler an die Urnen: Die Spitzenkandidaten Martin Schulz und Jean-Claude Juncker bestätigen alle Klischees

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Das ist der Martin, und das ist der Jean-Claude. Der eine ist Präsident des Europaparlaments, war Bürgermeister von Würselen und hat mal ziemlich gut Fußball gespielt. Der andere ist Arbeiterkind aus Luxemburg und war schon mit 40 Jahren Ministerpräsident und hatte auch mal eine Geheimdienstaffäre – Erklärfernsehen auf Viertklässlerniveau.

Da treten die Spitzenkandidaten der großen Parteienbündnisse in Europa zum TV-Duell gegeneinander an, und die veranstaltenden Sender, das ZDF und der Österreichische Rundfunk, gehen davon aus, dass die Zuschauer und Zuseherinnen nichts, aber auch gar nichts von Europa wissen und auch keine Ahnung haben, wer dieser Sozialdemokrat Martin Schulz oder der Konservative Jean-Claude Juncker ist.

Als die beiden denn endlich miteinander streiten dürfen, als sie ihre ersten wenig witzigen Witzeleien („58? Sie sehen aus wie 59“) ausgetauscht haben, müssen sie gleich über die Ukraine sprechen. Fast redet sich Schulz um Kopf und Kragen, weil er meint, die Ukraine sei ein Teil Europas, immerhin wäre der westliche Teil katholisch geprägt. Vielleicht hätte er sich in den vergangenen Wochen ein paarmal die Kindernachrichten „Logo“ ansehen sollen, dann hätte er vielleicht etwas Substanzielleres zum beherrschenden Thema dieser Tage beitragen können.

Was Juncker sagte, zeugte zwar auch nicht von viel Verständnis und ging über wohlfeile Sätze wie „Wir hatten genug Kriege“ nicht hinaus, aber er blamierte sich wenigstens nicht. Auf jeden Fall war er sich sicher, dass die Ukraine erst einmal nichts in der EU verloren habe. Endlich wurde es spannend.

Da stehen zwei, die für sich in Anspruch nehmen, eine Idee vom vereinigten Europa zu repräsentieren, und haben keine Lust, sich grundsätzliche Gedanken über die europäische Integration zu machen. Es werden in den nächsten fünf Jahren keine Staaten in die EU aufgenommen, das versprach Juncker. Die EU könne Erweiterungsrunden nicht verkraften. Schulz widersprach nicht.

Da streiten sich zwei Verwalterseelen, die einzig das Funktionieren ihrer Wirtschaftsgemeinschaft im Sinn haben, um das Amt des Kommissionspräsidenten. Und der einzige Konflikt des Abends dreht sich darum, wer nun schuld sei daran, dass die EU mit der Türkei über einen Beitritt verhandelt – Exkanzler Gerhard Schröder oder Angela Merkel. Eine Idee von Europa aber will keiner der beiden formulieren.

Stattdessen haben beide ein Programm. Juncker will die Unternehmenssteuern „harmonisieren“, um „dauerhaftes Wachstum und Stabilität“ herzustellen. Schulz will dafür sorgen, dass die Steuerzahler nicht dafür „blechen“ müssen, was Banken anrichten. Die Außengrenzen der EU müssen dicht bleiben, da sind sie sich einig, auch wenn Schulz für eine geregelte Einwanderungspolitik der Marke Kanada plädiert hat. Und wie mit den „Sozialtouristen“ (Juncker) innerhalb der EU umzugehen sei, das sei Sache der nationalen Regierungen. So wie die Geldpolitik Sache der unabhängigen Europäischen Zentralbank sei.

Am Ende lag die Frage in der Luft, was der Wahlgewinner dereinst überhaupt bestimmen kann, sollte er tatsächlich Kommissionspräsident werden. Sie blieb offen. Vielleicht klärt uns ja „Logo“ in den nächsten Tagen darüber auf.