SIGNIERSTUNDE: Starobjekt
Dilara war nervös, es war ihr erster Auftrag. Sie bahnte sich den Weg durch die Menge, eine milde Todesverachtung lag in der Luft, im Buchladen, der sich über drei Stockwerke ausbreitete, herrschte leise Aufregung. Etwas, was entsteht, wenn sich viele Menschen auf ein einziges Objekt fokussieren. Auf den Star.
Dilara schwitzte. Ihre Zugangsberechtigung baumelte um ihren Hals, bei Bedarf zeigte sie sie vor. Es ging die Showtreppe abwärts. Sie packte ein weißgrünes Mikrofon aus. Das Kürzel ihrer Nachrichtenagentur stand darauf. Ein älterer Herr stand neben einem Tisch und ergriff das Wort, dann redete endlich der Mann, wegen dem alle gekommen waren.
Alle Welt spricht von meinem Roman, sagte er. Nach dem Welterfolg, dem Liebesroman „Absentees Are Always Wrong“, lag nun sein neuer Schmöker „Book under Fire“ vor. Er handelte von Anfängerterroristen, von miesen Claqueuren, von schlechten Schriftstellern. Der Mann lächelte, seine Lesung war schnell beendet, er nippte von einem bereitgestellten Glas Wasser.
Die junge Journalistin stand zwei Meter von dem Tisch weg und überlegte, was sie mit dieser kurzen Distanz normalerweise anstellen würde. Und wohin das führen würde. Was sie sich da ausdachte.
Kurz darauf blickte der Mann circa fünfzigmal auf die blanken ersten Seiten der deutschen Ausgabe und malte seine Zeichen darauf. Manchmal, wenn er hochschaute und ihm ein Gesicht gefiel, fragte er nach dem Namen und setzte ihn als Widmung ein. Einmal schrieb er „Danke, dass Sie sich für diesen Roman entschieden haben“ auf die erste Seite.
Bei der dreiundzwanzigsten Signatur beugte sich Dilara mit ihrem Mikrofon endlich zu ihm hinunter. Sie sprach leise, mehr zu sich selbst. Dann reckte sie ihm das Mikro hin, in das er missmutig ein, zwei Sätze grummelte. RENÉ HAMANN
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