Retrospektiver Synthie-Charme mit Neuem von Blind Passenger und Alphaville

Eins haben Alphaville und der Blind Passenger schon mal gemeinsam: Beiden fehlt ein „s“. Alphaville beim Titel ihres neuen und achten Studioalbums „Catching Rays On Giant“, denn die Einzahl des Giganten fühlt sich irgendwie falsch an. Die blinden Passagiere wiederum waren früher mal zu zweit und hießen dann noch Blind Passengers. Heute schmeißt Nik Page den Synthie-Pop-Laden aber im Alleingang.

Im Ergebnis allerdings fehlt gar nichts – in beiden Fällen. Blind Passenger wirken auf „Next Flight To Planet Earth“, als wären die 23 Jahre seit ihrer Gründung nicht vergangen. Die Rhythmusmaschine wummert absichtlich maschinenhaft und der gute alte Moog-Synthesizer quäkt futuristisch, die Stimmung schillert stahlblau und Herr Page schwelgt in aus Science-Fiction-Groschenromanen zusammengeklaubten Metaphern. Damals 1987, als sich die Blind Passengers in Ost-Berlin zusammentaten, war das ziemlich zeitgemäß. Heute entwickelt es zumindest einen ganz gewaltigen retrospektiven Charme.

Kaum anders bei Alphaville. Die Band klingt, obwohl aus der Originalbesetzung nur mehr Marian Gold übrig geblieben ist, doch tatsächlich immer noch „Big In Japan“. Nach über einem Vierteljahrhundert und auch auf Studioalbum Nummer acht rattern die Sequenzer eingängig und piepsen die Synthies wie verträumte Minderjährige. Die elektronischen Klänge mögen mittlerweile aus einem Computer stammen, aber das Quartett reaktiviert trotz neuer Mitglieder seinen Sound ganz entschieden aus dem eigenen Fundus. Immerhin war die Frischzellenkur erfolgreich: Auch dank des grassierenden Eighties-Revivals hören sich Alphaville so aufgeräumt und heutig an wie schon lange nicht mehr.

Nachdem Gold zwischenzeitlich erfolglos versucht hatte, als seriöser Musiker wahrgenommen zu werden, gibt er sich mit „Catching Rays On Giant“, dem ersten Album seit sieben Jahren, nun doch geschlagen und akzeptiert das Vorurteil, er sei ein alt gewordenes Two-Hit-Wonder: Alphaville sind nicht, wie ihr immer noch größter Hit „Forever Young“ verspricht, für immer jung geblieben, aber immerhin und erstaunlich genug ihr Teenie-Pop. Auch eine von Piano und Streichern gestützte Ballade wie „The Deep“ ändert nur wenig an dem hier erneuerten Eindruck, dass ohne Alphaville eine Band wie die Scissor Sisters nicht möglich gewesen wäre.

Trotz alledem weiß man nicht so recht, was das noch soll. Schließlich werden Alphaville kaum ihren Teenie-Pophelden-Status wiedererlangen. Mit so einem unbekümmerten Album wie „Catching Rays On Giant“ wird andererseits aber genau diese Tradition fortgeschrieben. Vielleicht sollte man es so sehen: Marian Gold, der sich lange geziert hatte, nimmt seine Rolle als nationale Institution endlich an. Auch hier gibt es übrigens Parallelen zum Blind Passenger: Dessen Album wurde gefördert durch die Initiative Musik, also aus Steuergeldern. Zumindest die Politik hat also akzeptiert, dass der Synthie-Pop der achtziger Jahre reif für den Denkmalschutz ist. THOMAS WINKLER

■ Blind Passenger: „Next Flight To Planet Earth“ (Wannsee/Neo/Sony), live heute, 19.30 Uhr, bei der Tattoo Convention im Flughafen Tempelhof

■ Alphaville: „Catching Rays On Giant“ (Polydor/Universal)