Unfähig zur Liebe

Ein Stück, das zum Nachdenken anregt, weil jeder sich darin wiederfindet

Sie sind voneinander angeekelt, sie hassen und bestrafen sich unablässig gegenseitig. Dennoch kommen sie nicht voneinander los: die „Sommergäste“, die sich in Maxim Gorkis 1904 in Petersburg uraufgeführtem Stück um den Rechtsanwalt Bassow (Hans-Werner Leupelt) und seine Frau Varja (Wiltrud Schreiner) auf deren Landsitz geschart haben.

Varja, die Gastgeberin, ist in diesem unablässig kreisenden Menschenkarussell, das sich zwischen psychologischen Untiefen und philosophischen Höhenflügen bewegt, eine Art Dreh- und Angelpunkt; das ruhige Auge des Sturms. Doch zunehmend zeigt sie eine eiskalte und sehr zynische Seite. Am Schluss ist sie die Einzige (oder die Erste?), die tatsächlich die Flucht ergreift. Zwischen all den äußerlich erfolgreichen aber menschlich gescheiterten Existenzen glänzen besonders Dirk Audehm und Gabriela Maria Schmeide als tragikomisches kinderreiches Arztehepaar Dudakow. Beide Schauspieler haben ihr Talent zum Sinnlich-Grotesken in eigenen Bühnenshows unter Beweis gestellt. Hier sorgen sie immer wieder für Heiterkeitsausbrüche im Publikum – und verleihen dadurch dem Ganzen eine wohltuende Prise Leichtigkeit.

Gegen Ende mehren sich Szenen von brachialer Gewalt und Grausamkeit. Schließlich das harte Urteil: „Diese Menschen – weniger als nichts!“ und ein langsam sich entfernendes lautes Lachen. Und doch berührt all dies weniger als die eher zarte Szene vor der Pause, als Sonja (Friedericke Pöschel) nach dem hilflosen Versuch, ihre verzweifelte Mutter Marja (Henriette Cejpek) zu trösten, in lautloses Weinen ausbricht. Vielleicht der einzige Moment, in dem so etwas wie Liebe spürbar wird unter diesen Menschen, die so unfähig scheinen zur Liebe und dazu, glücklich zu sein. Ein Stück, das zum Nachdenken anregt; das interessiert, weil sich jeder Mensch irgendwie auch selbst darin wiederfindet. Der „Missionsauftrag“ – den neuen, sozialistischen Menschen zu verkünden – weswegen Gorki seinerzeit vom zaristischen Russland ins finnische Exil geschickt wurde – ist in dieser Inszenierung praktisch unkenntlich gemacht worden. Sie wirkt, in der Übersetzung von Ulrike Zemme, ganz auf der Höhe der Zeit.

Barbara Kelber