„Das Recht der Bürger endet beim Castor“

Vor zehn Jahren erklärten Tausende von Bürgern, sich dem Castor-Transport gewaltfrei in den Weg zu setzen – die Geburt der Anti-Atom-Kampagne „x-tausendmal quer“. Für Ex-Innenminister Glogowski „eine bedrohliche Situation“

taz: Herr Glogowski, die Anti-Atom-Kampagne „x-tausendmal quer“ wird dieser Tage zehn Jahre alt. Erinnern Sie sich?

Gerhard Glogowski: Ja, die mit den großen Castor-Sitzblockaden. Für mich als Innenminister von Niedersachsen war das damals sehr problematisch. Einerseits haben da Bürger sehr engagiert ihr Recht vertreten, das sie zweifellos hatten. Andererseits haben wir immer befürchtet, dass sich auch gewalttätige Demonstranten dahineinbegeben.

Wie real bedrohlich war das Szenario, das „x-tausendmal quer“ mit zu verantworten hatte: 9.000 Menschen, mehr als jemals zuvor, die im März 1997 zwei Tage und Nächte friedlich vor dem Verladekran in Dannenberg ausharren?

Das war schon eine sehr bedrohliche Situation. Wenn es nicht gelungen wäre, das aufzulösen, hätten die Castoren ihr Ziel nicht erreicht. Die Größenordnung der Blockade machte natürlich auch politisch ein Problem. Ich war gezwungen, das Recht der Energieversorgungsunternehmen, die Castoren ins Zwischenlager zu bringen, durchzusetzen. Aber ich habe das nicht gern gemacht.

Hatten die Massen-Blockaden politische Auswirkungen?

Natürlich. Das Ergebnis der ganzen Proteste ist ja, dass die Regierung dann gesagt hat: Wir wollen Atomenergie nicht mehr haben.

Haben Sie damals überlegt, zu sagen: „Tut uns leid, wir schaffen das nicht, diesen Transport gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen“?

Nein. Eine solche Haltung kann es nicht geben im Rechtstaat. Der Sinn von Sitzblockaden ist ja, sich hinzusetzen, damit der Castor nicht durchkommt. Die Polizei muss die Sitzblockade aufheben, damit er doch durchkommt.

Im März 1997 geschah das auf recht gewalttätige Weise.

Das war ’ne ganz schwierige Sache. Die Demonstranten haben ja gesagt: „Die schaffen das gar nicht, uns alle wegzutragen.“ Es war klar, dass es dann zur Eskalation kommt.

Warum?

Weil der Castor rein musste in das Lager. Wenn ich diesen Anspruch habe, dann dürfen diejenigen, die da eine Sitzblockade machen, letztlich dort nicht bleiben. Von daher kann ein solcher Protest, wenn er konsequent durchgehalten wird, auch dazu führen, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt.

Die Menschen, die sich da auf die Straße setzen: Ist das bürgerschaftliches Engagement?

Soweit es friedlich ist: ja.

Und wenn die Polizei auffordert, die Straße freizumachen?

Dann würde ich persönlich raten, das dann auch in einer vernünftigen Zeitspanne zu tun.

Weil dann das bürgerschaftliche Engagement endet?

Weil die Polizei keine andere Möglichkeit hat. Sonst müsste man sagen: Wir können den Castor-Transport nicht durchsetzen. Von daher endet das Recht der Bürger in dem Moment, in dem die Polizei pflichtgemäß handelnd den Castor durchbringt.

Interview: Armin Simon