Wenn nichts mehr geht

SCHREIBBLOCKADE Kreative, die einen „Grundkurs Dämonendompteur“ benötigen, können sich an Institutionen wie die FU Berlin oder die Hamburger Dramaklinik wenden

Erste Hilfe:

■ Selbstvorwürfe stoppen.

■ Gedankenloops durch Joggingrunden ersetzen.

■ Statt Doping per Koffein mal Yogi Tee zum Aufputschen probieren.

■ Dramafreie Zone einrichten: ruhigen Arbeitsplatz und feste Zeiten sicherstellen.

■ Selbstgespräche mit den Dämonen führen, um sie freundlich, aber bestimmt nach draußen zu komplimentieren.

■ Psychofreunde mit Depris, Beziehungsproblemen und Telefonitis auf die „Sprechstunden“ in der Freizeit vertrösten.

■ Aufpassen bei Zeitfressern (im Internet surfen) und Ablenkungsmanövern (Anfälle von Putzwut).

■ Disziplin schadet nicht immer.

■ Rituale etablieren: Zu einer festgelegten Uhrzeit aufhören, Belohnungen.

■ Sozialen Kontext für Arbeit schaffen: Freunde an Ideen teilhaben lassen. AGs oder regelmäßig veranstaltete Schreibclubs helfen mitunter – in hartnäckigen Fällen ein Coach.

■ (Zeit-)Plan machen, Chaos vermeiden. Erst schreiben, später korrigieren. Links:

■ www.dramaklinik.de;

■ www.fu-berlin.de/studienberatung/team/pueschel/index.htmlBücher:

■ Frank Cioffi: „Kreatives Schreiben für Studenten und Professoren“. (Ideen zum Analysieren, Strukturieren, Planen von Themen, inklusive stilistischer Tipps).

■ Julia Cameron: „Der Weg des Künstlers“.

■ Twyla Tharp: „The Creative Habit“. (bhf)

VON BIRGIT HEITFELD

Vendana, Arial oder Helvetica? Fünf Wörter schreiben, stopp, Rückwärtstaste, löschen, Leertaste. Wie eine Eiswüste dehnt sich das leere weiße Dokument auf dem Computerbildschirm aus. Die furchtbarste Schreibblockade ist immer gerade jetzt. Nichts geht mehr. Einfach: Blockade. Vor „Writer’s Block“ ist niemand gefeit: Nobelpreisträger, Drehbuchautor, Examenskandidat. Patentrezept? Fehlanzeige.

Beim Schreiben muss man kreativ und kritisch vorgehen: Die Krux liegt in der Gleichzeitigkeit. Zwar ist eine Story fertig im Kopf, aber die inneren Kritiker mit ihren negativen Glaubenssätzen verhindern es, den Gedankenstrom – stream-of consciousness-artig – einfach aufs Papier fließen zu lassen.

Sinkende Kontostände oder heraufziehende Abgabetermine am Horizont wirken da nicht immer befreiend. Auch ein akribischer Zeitplan ist kein Allheilmittel gegen den Aufmarsch der Dämonen. „Der menschliche Geist“, sagen indische Yogis, „ist wie eine wild gewordene Elefantenherde.“

Solch wütende Dickhäuter und Dämonen sind Meike Parussels Spezialität. Die Musiktheaterregisseurin und Therapeutin betreibt in Hamburg ihre „Dramaklinik – dramaturgische Ambulanz für Kreative“. Die Klientel: schreibgehemmte Journalisten, lustlose Drehbuchschreiber, Schauspieler mit Angstattacken. Parussel nutzt etwa Methoden aus der Gestalttherapie. Der Patient inszeniert in Rollenspielen Schattenaspekte seiner Persönlichkeit. So lässt sich orten, wo innere Kritiker ihr Unwesen treiben. Austragungsorte sind der Hamburger Hafen, der Elbstrand oder ein Theater. „Ausdruck und Heilung liegen nah beieinander“, so die Chefin der Dramaklinik. „Oft wird es laut.“

Ausdruck und Heilung liegen nah beieinander: Oft wird es laut

Typischer Beginn einer kreativen Blockade ist die „Aufschieberitis“. Viele Studenten gehören zu dieser Risikogruppe, weiß Edith Püschel von der psychologischen Beratungsstelle der Freien Universität Berlin (FU). „An der Uni, gerade in geisteswissenschaftlichen Fächern, gibt es nicht so klare Zielvorstellungen, Strukturen, Deadlines, wie man das aus der Schule kennt. Viele Studenten haben ihren eigenen Traum von Kreativität, von guter Leistung, doch dann müssen sie sich den Prüfungsstandards unterwerfen. Unlustgefühle und Flucht können die Folge sein. Hinzu kommen die Scham, sich zu blamieren, und die Angst, zu scheitern.“

In der Geschichte der Literatur wurde die Angst vorm weißen Blatt erstmals im 19. Jahrhundert, zur Zeit der Romantik, in literarischen Zirkeln thematisiert. Damals galt sie als Laune der Natur: Ein Schriftsteller wartete tagelang auf die geniale Idee, die per „Windhauch“ der Inspiration vorbeisegelte. Den ließ man einfach aus der Feder fließen. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich die artistic neurosis zum Fall für den Psychiater, speziell in den USA. Schon Surrealist André Breton hatte in seinem Manifest in den zwanziger Jahren in Frankreich die Écriture automatique als Kunstform zelebriert. Die Idee: beim Schreiben auf Absichtlichkeit und Sinnkontrolle verzichten. Schriftsteller Sten Nadolny („Die Entdeckung der Langsamkeit“) formuliert die Mühsal des Schreibens poetischer: „Mit Dampfkraft flussaufwärts zu fahren schien mir ehrenvoller als mit dem Kanu flussabwärts.“

Studenten mit Schreibblockade müssen den Kahn allerdings überhaupt erst mal wieder in Fahrt bringen – ohne sich dabei zu sehr selbst unter Druck zu setzen. Denn häufig treffe bei Studenten mit Versagensängsten ein hohes Ich-Ideal auf eine unsichere, adoleszente Persönlichkeit, so FU-Beraterin Püschel. Für hartnäckige Fälle, die ihr Examen immer wieder aufschieben und in einen Teufelskreis zu gleiten drohen, bietet zumindest die Berliner FU eine „Blended Guidance“ – eine Art Rettungsnetz aus Psychoberatung im Einzelgespräch, Jour fixe, regelmäßigen Schreibgruppen, Chats und Foren im Web, Coaching und Methodenworkshops, zum Beispiel zu Struktur und Zeitmanagement. „Wir möchten emotionale Schwächen wie methodische und handwerkliche Mängel beheben helfen“, so die Schreibseelsorgerin.