Schöne Dinge für eine bessere Welt

Design ist derzeit das große Thema in Essen und Herford: Während die „Entry 2006“ das technische Welt-Spectaculum im Weltkulturerbe sucht, zeigt die Ausstellung „Designing a New World“ in Herford die echten Wurzeln aller Kreativgestalter – und die liegen zwischen den beiden Weltkriegen

VON PETER ORTMANN

An zwei Punkten in Nordrhein-Westfalen polarisiert sich momentan die Gestaltung der Welt. Im Museum MARTa Herford erklärt Christopher Wilk in der Ausstellung „Modernism“ den Besuchern die (einst schöne) neue Welt. Auf der Essener Zeche Zollverein postuliert die so genannte Kreativitätsbranche auf ihrer Design-Weltausstellung gleich das Paradies. Während in dem restaurierten Bauhaus-Architektur-Weltkulturerbe (Fritz Schupp und Martin Kremmer) im Ruhrgebiet neue Ideen verkauft werden sollen, zeigt man in der nagelneuen Avantgarde-Architektur (Frank Gehry) in Ostwestfalen die eigentlichen Wurzeln von 1914 bis 1939. Die sind leider immer noch spannender als die zum Wettbewerbsfaktor verkommende Computer gestützte Gestaltungsmanie der heutigen Newcomer.

Design als Vision

Am Menschen scheiden sich die Geister. Er ist vor lauter Innovation im Blitzen und Blinken der Monitore verloren gegangen – wie auch die Visionen zur gesellschaftlichen Entwicklung. Wollten Künstler wie Piet Mondrian und Wassily Kandinsky, Architekten wie Walter Gropius oder Le Corbusier (der eigentlich Charles Jeanneret hieß), selbst Fotografen wie El Lissitzky oder Filmemacher wie Fritz Lang nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges die Welt mit Hilfe des Designs von Grund auf neu erschaffen, so schaffen heute die Designer eher Lösungsmöglichkeiten für die globale Industrie.

Produkte, die sich auf allen Märkten bewähren: Alles feilt dafür an neuen Formen, doch stellte man beispielsweise Alva Aaltos gläserne „Savoy Vase“ von 1936 heute in einen der zahllosen Pseudo-Design-Läden, kaum jemand würde ihr wahres Alter bemerken. Die Frage, ob das an der zeitlosen Form oder am Armutszeugnis für die aktuellen „Kreativen“ liegt, muss jeder für sich beantworten.

Vergessen wir also die blinkenden Bits und Bytes, die Dynamisierung der Wände, die hybride Lückenarchitektur aus Tokio, ja selbst die brandneuen chemischen Häute fürs „Emotional Design“ und schauen in die Vergangenheit des „Modernism“, der zwischenkriegerischen Selbstgenügsamkeit. Eine schlüssige Übersetzung für diesen Epochenbegriff gibt es nicht; dafür wird er immer noch inflationär gebraucht. Doch bis heute sind seine Vertreter prägend für die Gestaltung unserer Umwelt und unserer Kultur insgesamt. Die Ausstellung „Designing a New World“ in Herford belegt die These und ist der kuratorische Hintergrund von Christopher Wilk, der die Ausstellung zuvor in London für‘s Victoria and Albert Museum entwickelte und sie in Herford neu für die Gehry-Architektur konzipierte.

Am Anfang steht die Suche nach Utopia. Einem neuen Metropolis. De Stijl. Expressionistische Architektur, konstruktivistische Malerei, alles viel diskutiert, aber selten wurde so gebaut, wenn auch der eben zu Ende gegangene Krieg dies möglich gemacht hätte. Kaum jemand dachte an kristalline Kuppeln mit fünf Bergspitzen als Basis (Wenzel Hablik, 1924). Die Technik hielt Einzug, mit ihr die Heroisierung der Maschine. Sie tauchte überall auf. In Gemälden, Fotos, als Skulptur. In Herford steht ein schwedisches SKF-Kugellager aus den 1930er Jahren. Es könnte auch gestern die Fabrik verlassen haben. Dann nimmt Utopia Formen an. Die Belle Etage im ersten Stock verschwindet, gestylte Arbeitersiedlungen werden entworfen und städtischer Wohnbau für die besser Betuchten.

Und es ging um gesunde Lebensverhältnisse. Die Wohnanlagen bekamen Turnhallen und Freibäder für Kinder. Selbst ein neuer Röntgenapparat (Ernst Pohl, 1926-36) wurde ergonomisch kreiselnd konstruiert. Die körperliche Ertüchtigung galt als modern, die braunen Auswüchse in Deutschland machten daraus ein Jahrzehnt später eine Staatskultur. In Mussolinis Italien blühte das Design. Der „Duce“ glaubte, es sei der angemessenste Stil für den faschistischen Staat. Auch die einfachen, aber hypermodernen Möbel aus Stahlrohr und Sperrholz dienten der bequemen Gesundheit, Marcel Breuers Stuhl B32 von 1928 beispielsweise wird bis heute kopiert, Alvar Aaltos Paimio-Stuhl wurde in London in einer Sonderauflage für die Ausstellungen nachgebaut. Aber keines der Sitzmöbel erreichte Herford – sie wurden in der britischen Metropole bereits ausverkauft.

Der ökonomische Nutzen

Schon in den frühen 1930er Jahren war der „Modernism“ nicht mehr Alleinbesitz der Avantgarde. Er wurde mehr und mehr von denen imitiert, die seine ästhetischen Reize ökonomisch nutzen wollten und die ideologischen Aspekte (Utopia, gesellschaftliche Modernität, Lebensqualität) ignorierten. Auf Werbeplakaten, Firmenlogos, in Kino und U-Bahnen wurden das „Moderne“ genutzt, auch politische Parteien passten ihre Botschaften an.

Die Massengesellschaft kündigte sich an, der Ideenklau auch. Das Erbe wurde zerfasert, als reife Frucht gepflückt. „Die Gebäude, die wir bewohnen, die Stühle, auf denen wir sitzen, die Werbegrafik, die uns umgibt, sie alle haben ihre Wurzeln in der Ästhetik und Ideologie modernistischen Designs“, sagt Christopher Wilk. Rund 400 Exponate hat er zusammengetragen. Heute findet sich in der zeitgenössischen Rezeption von Design keine gesellschaftliche Vision mehr. Das Einzelobjekt, sei es ein Kugelschreiber oder ein neuer Flughafen, bleibt ein gestaltetes Solitär, das sich vielleicht in die natürliche Landschaft einfügt, das wirtschaftliche Maximen zwischen Produktions- und Verkaufsmaximierung verinnerlicht hat, den Menschen in seinem planetaren Netzwerk mit anderen Menschen aber eigentlich nur noch als mathematisches Produkt berücksichtigt.

Und so wandert der Besucher vielleicht doch noch einmal vom silberfarbenen Tatra T87 saloon car (von 1937) zurück in die Frankfurter Küche (1926-27) von Grete Schütte-Lohotsky. Sie wurde im Original aufgebaut. Durch geschicktes Verteilen der Einrichtung sparte die Hausfrau darin ein Drittel der Laufwege in üblichen Küchen. Und sie sieht verdammt modern aus.

Nach 1939 fand die Einheit von Vision und Gestaltung ein Ende, auch wenn es noch einige Spuren nach dem Zweiten Weltkrieg gab. Doch Massenproduktion und die schnelle Vereinnahmung der modernen Ideen durch Nachahmer ließen die kreativen Kräfte der Vordenker schwinden, die zerstörte Hoffnungen an die Maschine tat das Übrige.

„Die Verbindung der Architektur mit dem Utopischen, mit der Aufgabe den Menschen zu dienen ist verloren gegangen und die Architekten versuchen, mit diesem Verlust fertig zu werden“, sagt der Niederländer Rem Koolhaas. Und der hat immerhin den Millionen-Masterplan für das Gelände der Zeche Zollverein in Essen entwickelt.