die stimmen der anderen
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■  Die Süddeutsche (Deutschland)

Wikileaks verursacht Dammbruch

Was aber ist das höhere Interesse daran, die US-Papiere zu veröffentlichen, was ist der Missstand? Die Verlogenheit der Diplomatie? Die Interessenpolitik der Amerikaner? Dass Westerwelle Chefdiplomat ist? […] Es ist richtig, sich der Geheimniskrämerei von Behörden zu widersetzen. Wenn Medien dies tun, können sie filtern, einordnen, Persönlichkeitsrechte schützen. Wenn Wikileaks große Mengen Rohmaterial ins Internet stellen sollte, fehlen solche Garantien. Es wäre nicht mehr das kontrollierte Leck, wie es Wikileaks im Namen trägt, sondern der Dammbruch. Weil es die Technik ermöglicht, kann heute jeder Dokumente veröffentlichen, seine Kollegen oder Arbeitgeber vorführen. Ein Außenministerium aber, das auch intern stets diplomatisch sein muss, funktioniert nicht. Ein Mensch, der niemandem mehr schreiben kann, was er denkt, auch nicht.

■ The Guardian (Großbritannien)

Regierungen, schützt eure Archive!

Es ist ganz klar die Aufgabe der Regierungen, nicht der Journalisten, öffentliche Geheimnisse zu wahren. Wäre ihre Enthüllung eine übergreifende Gefahr, wäre vielleicht größere Zurückhaltung angebracht. Doch es gibt keine solche übergreifende Gefahr, nur die Enthüllung der Strategien selbst. Eine Großmacht, die das Richtige tut, sollte gegen Blamage gewappnet sein. Was aus dieser Geschichte folgen sollte, ist die Änderung der Grundlage diplomatischer Kommunikation. Wenn sich Wikileaks wie auch immer Zugriff auf das Material verschaffen kann, dann kann es vermutlich auch ein fremder Staat. Auf dem Papier können Worte gesichert werden, elektronische Archive nicht. Die undichten Stellen haben ein Loch in das System gesprengt, mit dem Staaten ihre Geheimnisse schützen.

■ La Repubblica (Italien)

Nehmt die Herausforderung an

Eine zugleich ominöse und vielversprechende Herausforderung. Die Printmedien sind in dieser Konfrontation die unersetzlichen Hauptakteure: Aus den 250.000 Dokumenten, die von Wikileaks über die Bildschirme gejagt werden, sind es die Medien, die auswählen und einordnen, die verständlich machen, was andernfalls ein unverständliches Chaos bliebe. Sie übernehmen die gesellschaftliche Verantwortung, Kontakt zu politischen Behörden aufzunehmen und den Namen von Quellen zu verbergen, die durch die Enthüllungen allergrößter Gefahr ausgesetzt wären. Das Einzige, was nicht geht, ist sich der Herausforderung nicht zu stellen.

■ The Guardian (Großbritannien)

Alle Revolutionen machen Angst

Wir befinden uns an einem Wendepunkt. Die Avantgarde eines globalen digitalen Zeitalters prallt mit den alten Eliten zusammen, die verzweifelt zu kontrollieren versuchen, was wir wissen. Wikileaks ist die Speerspitze einer globalen Bewegung, die für größere Transparenz und Partizipation eintritt. Ironischerweise zählt das US-amerikanische Außenministerium zu den wichtigsten Cheerleadern für diese technische Innovation, die mehr Demokratie selbst in Staaten wie China oder Iran bewirkt. Die Mächtigen spähen schon seit Langem die Bürger aus, um sie besser kontrollieren zu können. Nun richten die Bürger ihren Blick kollektiv auf die Mächtigen. Das ist eine Revolution, und wie alle Revolutionen produziert sie Angst und Unsicherheit.

■ Le Monde (Frankreich)

Das alles wussten wir schon

Alle die, die uns weismachen wollen, dass das Web 2.0 großes revolutionäres Enthüllungstheater sei: Von welchen Enthüllungen sprecht ihr? Davon, dass Sarkozy von der amerikanischen Botschaft in Paris als der „amerikanischste“ Präsident angesehen wurde – vor seiner Wahl? Natürlich macht es Spaß, sich auf Kosten von Diplomaten zu amüsieren, doch schon bald kehrt Langeweile ein, denn das alles wussten wir ja schon.

■ Iltalehti (Finnland)

Informationslecks – wir brauchen euch

Wenn wahrheitsgetreue Informationen über die Gesellschaft als gefährlich betrachtet werden, da sie im Widerspruch stehen zu den von den Regierungen verbreiteten falschen Informationen, sind Informationslecks sehr willkommen.